Andreas Wirthensohn, geboren 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.

Andreas Wirthensohn, geboren 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.

Jüngst landete ich wieder einmal in einem dieser oberösterreichischen Orte, deren Name mit Sankt beginnt und die trotzdem relativ wenig Heiligkeit ausstrahlen. Zwar gibt es eine schöne Kirche, doch das eigentliche Dorfzentrum ist die heilige Trias aus Gemeindeamt, Bäckerei und Bank.

Für eine Gastwirtschaft reichte es in diesem Sankt nicht mehr (auch in Oberösterreich hat das Wirtshaussterben begonnen), darum beschloss ich, mir im der Bäckerei angegliederten Café eine Stärkung in Gestalt eines Verlängerten und einer Kardinalschnitte zuzuführen. Es war halb zehn, und der Seniorenstammtisch war bereits fast vollzählig versammelt. Die meisten der Herren hatten schon ein erstes (oder zweites?) Bier vor sich, und die Diskussion zum Tagesgeschehen nahm Fahrt auf.

Topthema waren aber weder der Ukrainekrieg noch der Klimawandel (leider auch nicht das Schicksal der "Wiener Zeitung"), sondern die steigenden Preise ("Bald reicht’s nur noch für a kloans Bier") und, natürlich, die Krise der österreichischen Skifahrer. Bei den Damen (vulgo "Weiber" oder "Madln") war man sich rasch einig, dass das Hinterherfahren keine Überraschung war. Aber bei den Herren ("Burschn") schienen die Herrschaften empört zu sein ob der gezeigten Leistungen.

Das Schlimmste aber war: Statt den gewohnten fünf Österreichern unter den ersten vier hieß es immer öfter: "Ein Deutscher noch vor dem besten Österreicher". Das galt, so schien es, als die ultimative Demütigung. Sie war allerdings einem Herrn zufolge leicht zu erklären: Bei den Deutschen würden ja doch überwiegend "Beuteösterreicher" unterwegs sein, unter den Fahrern genauso wie im Trainerstab.

Moment, dachte ich, der Ausdruck gilt doch eigentlich für Deutsche, die in Österreich erfolgreich sind und deshalb als Austriaken vereinnahmt werden: Beethoven also oder Brahms oder vielleicht auch Ralf Rangnick. Aber von Deutschland erbeutete Österreicher? Und überhaupt: Was soll dieses martialische Beutegerede? Vielleicht sollten wir eher von einem Austausch sprechen: Wir Deutschen nehmen euch Österreichern ein paar unzufriedene Sportler und Trainer ab, während wir euch umgekehrt reichlich Beuterentner überlassen.

Denn tatsächlich entscheiden sich die meisten deutschen Ruheständler, die es ins Ausland zieht, für die Alpenrepublik (und nicht für Thailand oder die Türkei). Dass Deutschland nur noch zahlungskräftige Senioren, aber keine großen Skifahrer mehr hervorbringt - das ist natürlich nicht schön, aber wofür hat man selbstlose Nachbarn? Und vielleicht können wir ja demnächst ein paar Biathleten entbehren, die dann Medaillen für Österreich erbeuten.