"extra"-Ressortleiter Gerald Schmickl.

"extra"-Ressortleiter Gerald Schmickl.

In einem "profil"-Interview zu seinem neuen Buch, "Das glückliche Geheimnis", behauptet der in Wien und Vorarlberg lebende Autor Arno Geiger Folgendes: "Im Vergleich mit Social Media begegnet uns im Abfall das Leben in deutlich weniger geschönter Form, eine ziemlich lebensnahe, bunte Mischung. Im Müll landen Alltagsdinge: nicht Geschliffenes und Sensationelles, sondern Beiläufiges und Zweitrangiges. Der Abfall zeigt uns so, wie wir sind, nicht so, wie wir gerne wären. In den sozialen Medien wird die Aneinanderreihung von Höhepunkten als Normalität ausgegeben. Dagegen fällt das tatsächliche Leben massiv ab."

Diese Meinung deckt sich nicht im Geringsten mit meinen eigenen Erfahrungen - zumindest was soziale Medien anbelangt, mit persönlichen Dokumenten aus Altpapiercontainern, aus welchen Geiger seine Erkenntnisse buchstäblich zieht (davon handelt das Buch zu großen Teilen), kenne ich mich nicht so aus - und wäre mit allgemeinen Aussagen darüber daher auch vorsichtig. Aber ich habe seit Jahren einen Facebook-Account - und weiß daher über dieses soziale Medium einigermaßen Bescheid.

Wenn ich mir da den Feed (für Papierene: die Meldungsübersicht) einer beliebigen Woche anschaue, begegnen mir dort Bekundungen folgender Art: Jemand beklagt den viel zu frühen Tod seines Bruders; jemand anderer erzählt von einem Traum, in dem die Mutter eine höchst lebendige Rolle spielt; jemand erzählt von einem Besuch in seinem Heimatdorf und rasch wach werdenden Erinnerungen; andere posten ihr kunstvoll drapiertes Abendessen mit Foto; wiederum andere wünschen mit pittoresken Sonnenauf- und -untergängen einen guten Morgen bzw. eine gute Nacht (nicht immer aus exotischen Gegenden, es kann auch Linz oder Kaisermühlen sein).

Ich würde sagen: Diese Auswahl, die in meinem Feed nicht ungewöhnlich ist, zeigt alle Beteiligten eher so, wie sie sind, und nicht so, wie sie gerne wären - eine ziemlich bunte, lebens- und auch todesnahe Mischung aus Alltäglichem. Höhepunkte sind die Ausnahme, nicht die Normalität. Nun mag sein, dass das in anderen sozialen Medien anders ist, aber ich werde hier den Teufel tun - und Vermutungen etwa über Instagram oder TikTok äußern, mit denen ich keine Erfahrungen habe.

Gerade aus purer Unwissenheit neigt man zum Vorurteil, dass es dort anders, sagen wir ruhig: oberflächlicher zugehe. Es hat sich in den letzten Jahren eine neue Art von Stereotypie und Klischeehaftigkeit herausgebildet, die vor allem soziale Medien für all das verantwortlich macht, was zur Verkommenheit unserer Gegenwart beiträgt. Dabei ist in sozialen Medien nicht mehr Unfug enthalten wie in anderen Medien auch, behaupte ich. Die Problematik und auch Gefährlichkeit dieser Medien besteht nicht - oder weniger - in Inhalten, als in den Besitzverhältnissen und dem vielfach verschleierten Umgang mit persönlichen Daten. All das ist Grund genug für eine Zurückhaltung oder komplette Abstinenz. Bei mir hat sich das auf technischem Wege von selbst erledigt, da sich die Facebook-App auf meinem Handy nicht mehr hochladen lässt. Es geht auch ohne. Und es gibt ja auch noch Altpapier.