
Hans-Paul Nosko lebt als Journalist und Glossist in Wien.
- © Robert NewaldJetzt also auch das noch: Der nächste Ernährungstrend geht in Richtung Insekten. Mehlwürmer, Hausgrillen, Wanderheuschrecken und die Larven des Getreideschimmelkäfers: Allesamt bereits von der EU zum Verzehr durch den Menschen zugelassen. Die Meinungen dazu sind allerdings geteilt: "Proteinhaltig" und somit "wertvoll" sagen die einen, "Ist ja grauslich!", kontern die anderen, dabei vielleicht vergessend, dass sie bereits genüsslich Shrimps in Mayonnaise getunkt oder Weinbergschnecken im halben Dutzend mit Knoblauchsoße übergossen haben.
Mein erster ernährungstechnischer Kontakt mit der Insektenwelt datiert aus den 1980er Jahren. Ich war gerade im südlichen Mexiko unterwegs, als ich auf einem Markt eine Einheimische auf dem Boden sitzen sah, neben ihr ein rotbrauner Kegel, der einem Ameisenhügel ähnelte. Bekundete jemand die Absicht, bei ihr zu kaufen, so fuhr sie mit einer kleinen Messingschaufel, wie sie bei uns in Zuckerlgeschäften üblich ist, in den Haufen, befüllte ein durchsichtiges Plastiksackerl, verknotete dieses und überreichte es der Kundschaft. Als ich näher hinsah, wurde mir klar, dass es sich um tote Heuschrecken handelte. Auf der Stelle wurde mir derartig übel, dass ich mich abwenden musste.
Einige Tage später erzählte ich einem Mexikaner, mit dem ich mich angefreundet hatte, von meinem Erlebnis. Er kannte Europa und die Europäer, zeigte zwar Verständnis für meine Reaktion, bat mich jedoch inständig, sein Land nicht zu verlassen, ohne wenigstens ein einziges Mal diese Spezialität - eine traditionelle Nahrung seiner Region - verkostet zu haben. Trotz meiner Abscheu sagte ich mir, dass dies wohl eine der raren Gelegenheiten sei, eine derartige Erfahrung zu machen. Also gingen wir zu besagtem Markt, er erstand ein Sackerl mit großen, bis zu ihrem Ableben flugfähigen Heuschrecken, ich kaufte zwei Flaschen Coronabier, und wir setzten uns auf eine Parkbank. Augen zu, Mund auf und rein damit.
Das Tierchen schmeckte, ich kann es nicht anders sagen, hervorragend - allerdings hauptsächlich deshalb, weil es zuvor in Chili geröstet worden war. Wir setzten die kleinen Kerle auf ein Stück Zeitungspapier, und wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie mausetot waren, hätte ich sie nur an ihrer rostbraunen Farbe von ihren lebenden, grünen Kameraden unterscheiden können. Wir aßen, bis kein Haxerl mehr übrig war, tranken unser Bier, rund herum bunt gekleidete Menschen und über uns die warme Sonne Mexikos - ein perfekter Tag.
40 Jahre später wird bei uns an den Verzehr von Ameisen und Wanzen als Ersatz für Rinder- und Schweinefleisch gedacht - alles natürlich nach Überprüfung von Inhaltsstoffen, Zubereitungsarten und Einhaltung von Hygieneregeln. Solche Überlegungen waren mir in Mexiko völlig fremd, auch über Allergien, die der Verzehr von Heuschrecken auslösen könnte, zerbrach ich mir nicht den Kopf. Ich war, ohne es zu wissen, einfach ein kulinarischer Pionier.