Vor wenigen Tagen reiste der österreichische Wissenschaftsminister nach Schweden, um sich mit Anregungen versorgen zu lassen, wie man der in Österreich angeblich grassierenden Wissenschaftsskepsis Herr werden könnte. Es gälte, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken, wir müssen, so der Ressortchef, die "Wissenschaft ins Zentrum der Öffentlichkeit rücken, in die Schulen, die Wirtshäuser und Wohnzimmer der Menschen".

Die angesprochenen Orte der Wissenschaft geben doch zu denken. Dass die Akzeptanz von Wissenschaft in der Öffentlichkeit zu wünschen übrig lässt, mag sein, selbst wenn die mediale Omnipräsenz von Experten aller Art daran zweifeln lässt; warum Wissenschaft an den Schulen bislang offenbar eine untergeordnete Rolle spielte, müsste den Bildungsminister allerdings mit Entsetzen erfüllen und fragen lassen, was da in den letzten Jahren in seiner Dienststelle falsch gelaufen ist. Ob sich die Situation verbessert, wenn man die Lehramtsstudien, wie angekündigt, wieder verkürzt und dabei die ohnehin ausgedünnte wissenschaftliche Ausbildung weiter reduziert, ist mehr als fraglich. Über Wissenschaft in den Wirtshäusern bereiten wir lieber den Mantel des Schweigens, und was es bedeutet, wenn in den Wohnzimmern statt über Alltagskram über wissenschaftliche Fragen, zum Beispiel den Sinn einer Impfung diskutiert wird, haben wir zur Genüge erlebt.
Man tut der Wissenschaft keinen Dienst, wenn man vergisst, dass ihre eigentliche Aufgabe die rationale Erschließung der Wirklichkeit an spezialisierten Orten - Forschungseinrichtungen, Akademien und Unis - ist. Ein Wissenschaftsminister, dem die Wissenschaft ein Anliegen wäre, könnte diese Institutionen unterstützen und vielleicht einmal dafür sorgen, dass qualifizierte Hochschullehrer nicht jahrelang in prekären Beschäftigungs- und Abhängigkeitsverhältnissen gehalten werden, die in einem anderen Segment der Arbeitswelt kaum denkbar wären. Solche Zustände heben nicht gerade das Vertrauen in ein System, das darüber hinaus genug problematische Stellen aufweist: Ein Karriere- und Publikationsdruck, der manche dazu bringt, Fake-Konferenzen zu besuchen und in dubiosen Journalen zu publizieren; Plagiatsfälle, in die sogar renommierte Forscher verwickelt sind; ein Verständnis von Exzellenz, das mehr Wert auf das Einwerben von Geldern als auf fachliche Expertise legt.
Zu stärken und zu schützen wäre deshalb der eigentliche Motor der wissenschaftlichen Neugier: die Freiheit und Offenheit des Diskurses. Hier sind Tendenzen spürbar, die nichts Gutes verheißen. Aus Florida erreicht uns die Meldung, dass immer mehr Bücher aus den Schulbibliotheken entfernt werden müssen, weil sie der konservativen Verwaltung nicht passen. Sich mit Texten und Theorien auseinanderzusetzen, mit denen man nicht unbedingt übereinstimmt, gehört wohl nicht mehr zur aktuellen Idee von Bildung. An einer amerikanischen Hochschule wurde jüngst eine Kunsthistorikerin entlassen, weil sie eine mittelalterliche persische Illustration behandelte, die den Propheten Mohammed zeigt: Muslimische Studentinnen fühlten sich beleidigt. Wenn ideologischer Dogmatismus und subjektive Gefühle bestimmen, was Wissenschaft tun und lassen darf, rütteln wir an einem Fundament der modernen Gesellschaft.
Übrigens: Das Vertrauen in die Wissenschaft wird nicht gestärkt, sondern eher geschwächt, wenn sich Wissenschaftler als politische Aktivisten und Kämpfer versuchen und sich etwa gegen den Klimawandel und für einen Systemwechsel engagieren. Als Bürger ist ihnen das unbenommen; als Forscher sollten sie jedoch jene Distanz wahren, die allein den Erkenntnisfortschritt ermöglicht. Die Barrikade ist kein Ort der Wissenschaft - außer man errichtete diese, um für die Freiheit des Denkens zu demonstrieren.