Drei Beispiele, die ich in den Zeitungsarchiven gefunden habe: Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer führt den Ausgang der Landtagswahl in Niederösterreich auf die "Gemengelage" verschiedenster Krisen wie Asyl, Pandemie und Teuerung zurück. Ein Fondsmanager meint, "die Gemengelage" sei komplex wie noch nie in seiner langjährigen Karriere. Die Überschrift in einer Zeitung lautet: "Explodierende Kosten, sparsamere Gäste, Mangel an Personal: So manche heimische Gastronomen treibt die Gemengelage in die Insolvenz."

Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.
Robert Sedlaczek ist Autor zahlreicher Bücher über die Sprache, jüngst ist bei Haymon "Sprachwitze. Die Formen. Die Techniken. Die jüdischen Wurzeln. Mit mehr als 500 Beispielen" erschienen.

"Gemengelage" ist das neue Modewort, es wird im gesamten deutschen Sprachraum von Journalisten und von Politikern immer häufiger verwendet. Nach einer im "Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache" abrufbaren Statistik kam das Wort im Jahr 2000 nur 374 Mal im Zeitungskorpus vor. Dann ging die Kurve steil nach oben - im vergangenen Jahr wurden bereits 1.268 Belege registriert.

Das Wort stammt aus Deutschland, und zwar aus der Landwirtschaft. Dort waren damit verstreut liegende Feld- und Waldstücke innerhalb einer landwirtschaftlich genutzten Fläche gemeint. Die "Gemengelage" war kennzeichnend für die feudale Landwirtschaft, insbesondere in Südwestdeutschland. Sie behinderte die wirtschaftliche Entwicklung und wurde durch die Agrargesetzgebung Ende des 19. Jahrhunderts beseitigt.

So gesehen müsste das Thema eigentlich passé sein. Der Begriff erlebte aber in der juristischen Fachsprache eine Renaissance, als in Deutschland die "Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm" in Kraft trat. Dort ist "Gemengelage" ein Aneinandergrenzen von gewerblich oder industriell genutzten Flächen mit zum Wohnen dienenden Gebieten. Die Bevölkerung soll vor schädlichen Umwelteinwirkungen geschützt werden.

In Österreich gibt es kein Bundes- oder Landesgesetz, in dem das Wort vorkommt, lediglich in einigen Erläuterungen ist es zu finden. Man kann daher davon ausgehen, dass auch die Verwendung im übertragenen Sinn aus Deutschland zu uns übergeschwappt ist: Gemeint ist mit "Gemengelage" ein Zusammentreffen von widerstrebenden Interessen und Absichten verschiedener Akteure - wie ursprünglich bei einer Flurbereinigung. Allerdings hat sich das Wort inzwischen stark abgenützt, in einer sinnentleerten Variante sind Zustände und Gegebenheiten in einer Krisensituation gemeint, die sonst miteinander nicht zusammenhängen. Die "Gemengelage" ist schuld an Wahlniederlagen, an sinkenden Fondserträgen und an Insolvenzen. Das Wort gilt als bildungssprachlich, es verschleiert und impliziert: Schuld bin nicht ich, schuld ist die allgemeine Krisensituation oder anders gesagt: Schuld sind die Verhältnisse.

Dazu passt ein Zitat aus "Frau Warrens Beruf" von George Bernhard Shaw. "Man gibt immer den Verhältnissen die Schuld für das, was man ist. Ich glaube nicht an die Verhältnisse. Diejenigen, die in der Welt vorankommen, gehen hin und suchen sich die Verhältnisse, die sie wollen, und wenn sie diese nicht finden können, schaffen sie sie selbst."