Reiner Zufall, das. Aber gibt es Zufälle? Es war eine Einladung zu einem Symposion des Paul Klee-Zentrums in Bern, die mich just an jenem Tag erreichte, da ich über das Thema dieser Kolumne nachdachte. Klee war ein berühmter Maler der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts, man kennt viele seiner Bilder - aber die Facette seines Werks, auf die das Museum hinweisen wollte, war mir bis dato unbekannt. Anlässlich der Ausstellung "Im Rausch der Technik" führt man an einem Themenwochenende Gespräche unter dem Titel "Wenn der Mensch zur Maschine wird". Der Beitext erläutert: "Paul Klee lebte - wie wir heute - in einer Zeit großer technologischer Transformationen. Die neuen Errungenschaften stellten die Wahrnehmung der Menschen von Materie, Raum und Zeit infrage. Röntgenstrahlen, Telefone, Elektrizität lösten das gewohnte Weltbild auf. Darauf reagierte die Kunst."

Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien. Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com
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Und wie! Dass ein Maler wie Klee, verstorben 1940, mit Cyborgs und Robotern in Verbindung gebracht wird oder die Künstliche Intelligenz Siri öffentlich über ihn spricht (im Dialog mit einer Kabarettistin, immerhin), mag gewagt erscheinen. Aber es zählt seit jeher zu den wesentlichsten Aufgaben von Kunst, etwas von ihrer Zeit und den Visionen, Projektionen und Irritationen ihrer Schöpfer und Mitmenschen zu erzählen.

Im Idealfall erkennt man darin sich selbst. Eine solche Gefühlslage empfand ich beim Besuch der empfehlenswerten Ausstellung im Kunstforum Wien, die der Künstlerin Kiki Kogelnik gewidmet ist (bis 25.6.). Die aus Bleiburg in Kärnten stammende Malerin und Aktionistin wurde hierzulande lange unterschätzt und auf bunte Glas- und Keramikfiguren reduziert, war aber in den 60er und 70er Jahren am Brennpunkt der Popkultur und zeitgenössischen Kunst, in New York, aktiv. Was macht ihr Schaffen heute so aktuell und relevant? Die fast visionäre Vorwegnahme von Themen. Bei Kiki Kogelnik waren es Feminismus, sexuelle Identität und Konsumgesellschaft genauso wie der technische Fortschritt. Am greifbarsten wird das bei "Lover Boy", einer roboterhaften, raumgreifenden Skulptur aus dem Jahr 1963, die aus Kuchen- und Muffin-Backblechformen zusammengeklebt wurde, aber in jedem Science-Fiction-Film eine Rolle spielen könnte.

Kogelniks Kunst erzählt von Robotern, der Mondlandung und futuristischen medizinischen Apparaten genauso wie von der Anti-Baby-Pille, tradierten Frauenrollen und Befreiungskämpfen. Der Ausstellungskatalog merkt dazu an: "Faszination und Angst spürt man zu gleichen Teilen in diesen Arbeiten, die auf gespenstische Weise die Möglichkeiten moderner Diagnostik und künstlicher Intelligenz (...) vorwegzunehmen scheinen." Oh, ja.

Das ist vor 40, 50, 60 Jahren entstandene Kunst, die den Stand der Dinge widerspiegelt. Und zwar jenen der Gegenwart (und dabei schon mehr als nur eine Ahnung der Zukunft in sich trägt). Es wäre interessant zu erfahren, wie Kogelnik - wenn sie denn noch lebte - auf neueste Entwicklungen wie Midjourney, Dall-E 2 und sonstige KI-Bildgeneratoren reagiert hätte.

Vielleicht ist Kunst, die von menschlichem Genie erdacht und gemacht ist, ja perspektivisch das wesentliche Rückzugsgebiet der humanoiden Spezies. Für Gebrauchsgrafikerinnen, durchschnittlich begabte Zeichner und Allerwelts-Illustratoren sehe ich heute schon schwarz.