Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.

Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.

Als mir vor etwa zehn Jahren ein höfliches kleines Mädchen im Bus seinen Sitzplatz anbot, war ich perplex, gerührt - und auch peinlich berührt. Die Erkenntnis, dass man mir ansah, wie alt ich war, war mir überraschend und unangenehm. Irgendwie schien ich, ohne mir dessen bewusst zu sein, gehofft zu haben, dass ich mein Älterwerden verbergen könnte. Ich empfand es offenbar als Niederlage, die ich ununterbrochen eingestehen musste, da jeder sah, wie weit es schon gekommen war.

Wenn ich in den Spiegel sehe, begreife ich sofort, dass eine Volksschülerin, für die jeder ab 30 dem Grab entgegen wankt, mir schon vor zehn Jahren einen Sitzplatz anbieten wollte. Wenn ich aber ohne Spiegel an mein Selbst denke, dann ahne ich nicht im Entferntesten, was der jungen Dame damals eingefallen sein mag.

In einem Büchlein zum Thema Quantenphilosophie habe ich nun gelesen, dass das normal ist: Das Ich altert nicht, es bleibt immer gleich. Vielleicht ist deswegen das Altwerden, sage ich den jüngeren Leserinnen und Lesern, ein höchst überraschender Vorgang. Es ist nicht so langweilig, wie ich immer gedacht hatte, vielmehr ein stetiger Quell der Verwunderung, nicht nur weil die Menschen so unterschiedlich auf diesen Vorgang reagieren, sondern weil man selber immer wieder Neues und höchst Erstaunliches an sich entdeckt.

Ich bin hin und wieder gezwungen, ein Foto von mir für einen Veranstaltungskalender oder dergleichen abzuliefern. Da suche ich stets ein Kompromissfoto, das einerseits dem tatsächlichen Alter Rechnung trägt und andererseits auch meinem alterslosen Ich. Wenn so ein Foto einmal irgendwo gespeichert ist, tauscht man es freiwillig nicht mehr aus. In manchen Karteien bleibt man ewig 35.

Anlässlich eines Sterbefalls in der Familie hatten wir die Aufgabe, aus einer Reihe von Fotos eines für den Partezettel auszusuchen. Was nimmt man da? Welches Alter stellt den Verstorbenen am umfänglichsten dar? In welchem Lebensalter, fragt man sich, war er optisch am meisten er selbst? Manche Trauerfamilie entscheidet sich für die Abbildung der jugendlichen Schönheit, des prallen Lebens einer Gattin und Mutter. Andere wählen ein Foto, das den Frohsinn, die Lebenslust des Großvaters feiert. Manch ein Verstorbener lacht deswegen vom Partezettel, als ob der Tod ein Riesenspaß wäre.

In dem erwähnten Büchlein steht, dass wir uns die Zeit selber machen. Und wie wir sie interpretieren, hängt ebenso von uns selber ab. Keineswegs alles am Älterwerden ist schlecht. Ich habe mich damit angefreundet - allerdings nicht mit dem Schmerz in meinem linken Handgelenk. Den lehne ich rundheraus ab und tue mit jugendlichem Elan alles, damit er endlich wieder verschwindet.