Bigotterie, las ich unlängst nach, ist die Bezeichnung für ein unreflektiertes, übertrieben frömmelndes, dabei anderen Auffassungen gegenüber intolerantes und scheinbar ganz der Religion oder einer religiösen Autorität gewidmetes Verhalten. Der Duden hat auch die Synonyme Scheinheiligkeit und Doppelmoral im Angebot und spricht von "übertriebenem Glaubenseifer".

Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien. Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com
Walter Gröbchen ist Label-Betreiber (www.monkeymusic.at), Musikverleger und Autor in Wien. Mehr Kommentare und Kolumnen auf seinem Blog groebchen.wordpress.com

Freilich geht es im Weiteren nicht um Religion im engeren Sinn, doch um Glaubensfragen. Und Moral. Wie komme ich überhaupt auf das Thema? Nun: Es begegnet uns in Zeiten wie diesen, wo vieles Spitz auf Knopf steht, immer öfter. Beispiele gefällig? Da gab es etwa den Fall von Klimaaktivistinnen der "Letzten Generation", die nicht vor Gericht erschienen, weil sie eine Fernreise nach Bali per Flugzeug gebucht hatten. Dann war da die Abgeordnete der Grünen, die ebenfalls im Flieger angetroffen wurde - auf der vergleichsweise kurzen Strecke von Wien nach Vorarlberg. Allen wurde umgehend Doppelmoral unterstellt. Wie können Menschen, die für Umweltschutz und Verkehrsreduktion eintreten, ad personam ihre eigenen Ideale vergessen, gar verraten?

Und letztlich kam mir dieser Tage ein Interview in der gut gemachten niederösterreichischen Kultur-Streitschrift "morgen" unter, wo der Geschäftsführer der Hochkultur-Weihestätte Grafenegg, Philipp Stein, schonungslos mit sich selbst ins Gericht ging. Er stellte angesichts des Klimawandels die Frage, ob es Sinn macht, "ein Orchester über den Atlantik zu fliegen, damit zweitausend Leute, die mit dem Auto anreisen, sich das anhören können". Man kämpfe auch in Grafenegg mittlerweile mit Trockenheit und Grundwassermangel. Wörtlich sprach Stein von der "Klimakatastrophe" und davon, dass - wenn diese anhalte - man eventuell in absehbarer Zeit keine Kulturinstitutionen mehr brauche, "da die Welt dann Kopf steht." Harte Worte. Allerdings läuft das Grafenegg-Business weiter wie gewohnt. Ja, man stampfte sogar neue Festivals und Konzert-Schwerpunkte aus dem Boden.

Ist das nun Bigotterie? Scheinheiligkeit? Doppelmoral? Einerseits ein reflektiertes Dasein, grundsätzliche Einsicht, eventuell gar politischer und außerparlamentarischer Aktivismus? Andererseits die fehlende persönliche Ebene. Galt nicht lange Mahatma Gandhis Satz: "Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt"? Konsequent fortgedacht müsste man Grafenegg zeichensetzend abreißen und durch ein Öko-Biotop mit Betretungsverbot ersetzen lassen. Die alte Doktrin, Zivilisation und Kultur manifestierten sich in der Überwindung der Natur, hat dann ausgedient, wenn ein Überleben der Zivilisation nur durch ein radikales Arrangement mit der Natur möglich ist. Der Kollateraleffekt, dass der Bildungsbürger des 21. Jahrhunderts sich dann eventuell zur (hoch)kulturlosen Kreatur wandelt, ist dabei leider nicht ausgeschlossen.

Nun ist das freilich reine Polemik. Schwarz-Weiß-Malerei. Eine dystopische Projektion. Oder? Die Klima-Forschung hat dazu eine recht eindeutige Meinung, wenige wagen aber die Folgerungen auszuformulieren. Lassen Sie noch eine individuelle Betrachtung zu? Sagen wir so: Es ist definitiv zukunftsweisender, darüber nachzusinnen, als über das unausrottbare Menschheitsmonster Bigotterie.