Eine merkwürdige Meldung aus einer Boulevardzeitung: "Nach dem Hochhausbrand in Tschechien mit elf Toten gehen die Ermittler von Brandstiftung aus, ein 54-Jähriger soll den Brand absichtlich gelegt haben." Kann man einen Brand auch unabsichtlich legen? Und weiter: "Tschechische Medien berichten, dass der Mann sich an seiner Ex-Frau rächen wollte, die in der Wohnung an einer Familienfeier teilgenommen habe. ,Es soll dort eine Feier gegeben haben, zu der auch ein Gast kam, der nicht eingeladen war‘, erklärte Vizebürgermeister Igor Bruzl der Agentur CTK. Alle Todesopfer hätten sich in der gleichen (!) Wohnung aufgehalten."

In der Schule habe ich gelernt, "dasselbe" und "das gleiche" auseinanderzuhalten. Wenn es um eine "Identität des Einzelwesens oder Einzeldings" geht, dann ist "dasselbe" der richtige Ausdruck. "Derselbe Hund hat mich schon einmal gebissen."
Oder: "Die zwei Frauen haben in demselben Geschäft eingekauft." Geht es um eine "Identität der Klasse", man könnte auch sagen der Art oder der Gattung, dann ist "das gleiche" gefragt. "Vater und Sohn tragen die gleiche Krawatte." Die Frau hat zwei Krawatten in derselben Farbe und mit demselben Muster gekauft, eine für ihren Mann, eine für ihren Sohn.
Einen schönen Mustersatz habe ich in dem Duden-Band "Richtiges und gutes Deutsch" gefunden: "Die zwei Monteure der Firma fahren denselben Wagen." Sie müssen sich also ein Dienstfahrzeug teilen - Identität des Einzeldings. "Die zwei Monteure fahren den gleichen Wagen." Sie benützen Fahrzeuge desselben Fabrikats - Identität der Klasse. Ob auch Motorisierung, Ausstattung, Baujahr etc. übereinstimmen, bleibt in diesem Fall ungeklärt. Manchmal ist es schwierig, der Komplexität unserer Konsumwelt gerecht zu werden.
Bei abstrakten Begriffen lässt sich nicht feststellen, ob es um eine "Identität des Einzelwesens" oder um eine "Identität der Klasse" geht. Normalerweise würden wir die Formulierung "das gleiche Ziel" wählen, aber um das Gemeinsame im Wortinhalt zu betonen, wird häufig "dasselbe" verwendet.
Hier ein Beispiel aus einer Meldung der Austria Presse Agentur (APA): "Russlands Präsident Wladimir Putin im Anzug am elendslangen Tisch, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Kiews Straßen im Militäroutfit: Diese Bilder gehen seit Beginn des Ukraine Krieges um die Welt. Obwohl man meinen könnte, die Inszenierungen könnten unterschiedlicher nicht sein, wird dasselbe (!) Ziel verfolgt: ,Die einheitliche durchgehende Vermittlung von Botschaften‘, sagte die Expertin für Medien und Politische Kommunikation . . . "
Schwierige Regeln haben die Tendenz, im Laufe der Zeit missachtet zu werden, und irgendwann gelten sie nicht mehr. Daher ist der Duden tolerant: "Im Allgemeinen ergibt sich aus dem Zusammenhang, welche Identität gemeint ist, sodass eine strenge Unterscheidung zwischen ,derselbe‘ und ,der gleiche‘ unnötig ist."
Ich meine: Das mag für die Alltagskommunikation gelten, den Zeitungen wäre eine präzise Handhabung der alten Regel schon noch zu empfehlen.