Holger Rust, geboren 1946, ist Publizist und Professor für Soziologie in Hannover.

Holger Rust, geboren 1946, ist Publizist und Professor für Soziologie in Hannover.

Vor ein paar Tagen habe ich die erste TV-Dokumentation über ein sehr ernstes Thema gesehen, bei der der im Grunde intelligente Kommentar vollständig von einer seifigen Hintergrundmusik eingelullt wurde. Und ich sag nur so viel: Es war kein Kommerzsender, der das präsentierte.

Und da wurde mir plötzlich klar, warum ich seit nicht allzu langer Zeit immer wieder vor dem Fernseher einschlafe: Es ist nicht das Alter, wie mir einige übellaunige Zeitgenossen einzureden versuchten. Es ist auch meist nicht der Inhalt, obwohl auch das passiert, wenn wieder einmal eine Ermittlerin die tausendfach durchgespielte Pose mit der an beiden Händen in die Kamera gestreckten Waffe wiederholt. Das alles ist es nicht.

Es ist die Musik.

Diese immer wieder gleiche Musik, die so wirkt, als zöge man einen Kaugummi in die Länge oder beobachte an einem windarmen Nachmittag den Zug der Wolken in seiner schläfrigen Behäbigkeit. Diese Begleitmusik, die in keinem Verhältnis zum Inhalt steht, weil sie immer wieder die gleichen angedeuteten Melodien dahinstreckt. Als hätte irgendein fehlgeschalteter Stockhausen-Epigone ein Programm entworfen, in dem nur die fünf Vokale vertont werden, das heißt: extrem in die Länge gezogene a, e, i, o, u. Denn wenn man die Vokale leise wie ein Mantra vor sich hin singt, hat man bereits fünf Tonhöhen, die eine fiktive Melodie ergeben. Das Ganze dann rückwärts oder in zufälliger Reihenfolge, gern durch Streicher eingespielt und gelegentlich nur verschlimmert durch einzelne Gitarrenzupfer, pling, plang, pleng, plong, plung. Was sich rein kombinatorisch zu einer endlosen Variationskette zusammenbasteln lässt.

Natürlich kommt jetzt, was unausweichlich ist: die Erinnerung an die Großen. An Nino Rota und die Fellini-Filme, vor allem "Amarcord", Ry Cooder in Wim Wenders "Paris, Texas", Ennio Morricone, der für das Hauptmotiv von "The Good, the Bad and the Ugly" sogar nur zwei Töne brauchte, um unvergessliche Identifikationen zu schaffen, und dann: die Mundharmonika, man muss den Titel des Films gar nicht nennen. Oder Burt Bacharach ("What’s New Pussycat?", gesungen von Tom Jones), Klaus Doldinger, Henry Mancini, James Horner oder Miles Davis ("Fahrstuhl zum Schafott").

Nicht zu vergessen die Österreicher, Ernest Gold zum Beispiel, der die Musik für "Exodus" komponierte, Paul Haslinger und sowieso: Anton Karas, der schon 1948 zeigte, wie man aus dem Prinzip der Variation eines einzigen Grundmotivs Weltmusik extrahiert. Einfach, klar, unverwechselbar. Zugegeben, das sind große Produktionen, kann man im Fernsehen nicht machen. Zu wenig Geld, oder? Aber wäre es nicht einmal eine Idee, Nachwuchskomponistinnen und -komponisten mit Aufträgen einzuspannen, um zu hören, was die aus zwei, drei Noten zaubern könnten? Das kann ja nicht so viel kosten. Und Kultur soll doch, wie man immer wieder in der gleichen beschwörenden Tonlage hört, so wichtig sein.