Irene Prugger, geboren 1959, Schriftstellerin und freie Journalistin, lebt in Mieming, Tirol.

Irene Prugger, geboren 1959, Schriftstellerin und freie Journalistin, lebt in Mieming, Tirol.

Vor einigen Jahren bei der Premierenfeier eines kollektiv inszenierten Theaterstücks, an dem auch ich beteiligt war: Auf dem Tisch lagen zwei Zeitungen. In der einen stand eine gute, in der anderen eine schlechte Kritik. Natürlich stand die schlechte in der weitaus auflagestärkeren Zeitung. "Diese wird jetzt die ganze Welt lesen und die gute niemand", rief jemand theatralisch. Eine Schauspielerin, die ebenfalls einen Verriss hatte einstecken müssen, reagierte gelassen: "Die Zeitung von heute ist morgen die Zeitung von gestern und übermorgen wickelt man darin den Kopfsalat ein!" Wie recht sie hatte, die Party war gerettet!

Zeitungen von gestern lassen sich vielfältig verwenden. Sie sind wichtig als Zeitzeugen und für verlässliche Recherchen, man kann damit aber auch - neben Kopfsalat einwickeln - Fenster putzen, den Grill reinigen, Geschenke verpacken, Papierflieger falten, sie als Schutzschicht beim Campen unter den Schlafsack legen, Feuer entfachen ... Oder daraus Kunst machen wie Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller mit ihren "gedichte collagen", die durch "schneiden, legen, kleben" entstehen. Hunderttausende aus Zeitschriften ausgeschnittene und frei verwendbare Wörter zu besitzen, bedeutet für die Autorin, die unter der kommunistischen Diktatur weitgehend auf den Zugang zu Zeitungen verzichten musste, das Gegenteil von Zensur.

Der in Wien und Berlin arbeitende contemporary collage artist Erich Wiesmüller wiederum gestaltet aus Zeitungspapier Wand- und Porträtcollagen sowie tagespolitische Arbeiten. Seit 2019 fügt er täglich ein 30 x 30 cm großes Kunstwerk aus Schlagzeile, Foto und Zitat zusammen. Wiesmüller: "Die Tageszeitung spannt den Bogen zwischen Momentaufnahme und Beständigkeit, zwischen Vergänglichkeit und Konservierung, zwischen Dekomposition in die Kleinteiligkeit des Zerschnittenen, Gestanzten, Gerissenen und dem großen Ganzen."

Schön, wie dabei aus Inhalten und Kopfarbeiten neue assoziative Inhalte und Kopfarbeiten entstehen und mit der Zeitung von gestern auch die Zeitung von heute gewürdigt wird - gerade in Zeiten wie diesen, da man Zeitungen wie dieser die Druckreife absprechen möchte. Wie fatal! Abgesehen von der demokratiepolitischen und kulturellen Bedeutung tut es einfach gut, fundierte Artikel zu lesen, die nicht nur "das Zeugs sind, das zwischen den Anzeigen steht" (Lord Kelvin of Largs), und in gedruckter Ausgabe "greifbare" Informationen zu bekommen, ohne blinkende Buttons und Pop-up-Fenster, sodass man sich auf den Inhalt konzentrieren kann.

"Stimmt, du schreibst für die ‚Wiener Zeitung‘!", sagte kürzlich ein Bekannter zu mir. "Die ist wirklich gut! Ich lese sie immer im Kaffeehaus und überlege schon lange, ein Abo zu bestellen!" "Sehr gut", sagte ich, "aber du solltest dich beeilen!" Den Zusatz: "Bevor man vielleicht keinen Kopfsalat mehr darin einwickeln kann", ersparte ich mir.