Auf dem Lande höre ich eine beim Auto wartende Mutter zu ihrem Sohn im ersten Stock hinaufrufen: "Kumm endlich owa! Komm herunter!" Eine andere befiehlt ihrer im Weg stehenden Tochter: "Geh dauni! Geh zur Seite!" Einmal mundartlich, einmal standardsprachlich. Vermutlich begreifen die Kinder recht bald, dass es zwei verschiedene Sprachcodes gibt.

Ein weiteres Beispiel. Ein Trailer für eine Hans-Krankl-Dokumentation im Privatfernsehen. Der Held von Cordoba im dunklen Anzug im Gang eines Theaters. In den Händen hält er Bücher, aus denen Marker herausschauen. Offensichtlich ist er auf dem Weg zu einem Vortag. Er richtet sich die Krawatte und geht auf die Kamera zu. Die Fußball-Legende im Originalton: "I bin, so wiri bin, wiri immer woa, hob mi ned vastöt. Ich verstelle mich nicht, bin authentisch. Se soin iwaroi sogn: Da Oide woa r a super Mensch. Ich bin Hans Krankl."
Dies wird in der Sprachwissenschaft als Standard-Dialekt-Kontinuum bezeichnet. Die Sprecher switchen zwischen den Varietäten hin und her. Ein ausgeprägtes Kontinuum dieser Art besteht im bairisch-österreichischen Dialektraum: Es ist problemlos möglich, von der Mundart in ein akzentfreies Standarddeutsch zu wechseln und retour, manchmal sogar innerhalb eines Satzes.
Kein Dialekt-Standard-Kontinuum besitzt das Schweizerdeutsche. Zwischen dem Alemannischen und dem Standard gibt es keinen fließenden Übergang, die Sprecher reden durchgängig entweder so oder so.
Wir schauen bewundernd auf die Schweizer. Die haben’s gut. Alle Gesellschaftsschichten sprechen die alemannischen Dialekte, diese Zweisprachigkeit wirkt systemerhaltend, das Schwyzerdütsch lebt. In Österreich und Bayern gehen hingegen die Mundarten zurück, vor allem in den Großstädten. Sie gelten als bildungsfern - ein Vorurteil.
Diesen Umstand zu beweinen hat wenig Sinn. Freuen wir uns doch darüber, dass das Dialekt-Standard-Kontinuum den Dichtern und Liedermachern zusätzliche Möglichkeiten bietet. "Es lebe der Zentralfriedhof" ist eines der besten Lieder von Wolfgang Ambros. Dem genialen Textdichter Joesi Prokopetz sprang in einer Zeitung eine merkwürdige Überschrift ins Auge: "Der Zentralfriedhof feiert seine ersten hundert Jahre." Er rief sofort "den Wolferl" an und präsentierte ihm die Idee zu einem neuen Lied. In diesem heißt es: "Es lebe der Zentralfriedhof und seine Jubilare / sie liegen und verfäun scho durt / seit über hundert Jahre." Damit sich der Reim ausgeht, wechselt der Text in die Standardsprache. Es heißt nicht "seid iwa hundat Joa", sondern "seit über hundert Jahre‘."
Die Switchkompetenz bezeichnet man auch als "innere Mehrsprachigkeit". Das Beherrschen mehrerer Nationalsprachen, also zum Beispiel Deutsch und Kroatisch, ist hingegen die "äußere Mehrsprachigkeit". In beiden Fällen gilt nach übereinstimmenden Erkenntnissen der Wissenschaft: Mehrsprachigkeit führt zu einer erhöhten Problemlösungskompetenz, einem besseren Abstraktionsvermögen und einem höheren Maß an Empathie. Sie zu fördern wäre eine lohnende Aufgabe des Unterrichts in der Schule.