Robert Sedlaczek ist Autor des Buches "Das österreichische Deutsch". Seit 2005 schreibt er für die "Wiener Zeitung".
Robert Sedlaczek ist Autor des Buches "Das österreichische Deutsch". Seit 2005 schreibt er für die "Wiener Zeitung".

Ein Thema passend zur Jahreszeit: Mich plagt der Schnupfen. Obwohl ich gestern eine Großpackung Taschentücher gekauft habe, zeichnet sich bald ein Vorratsmangel ab. Mir rinnt die Nase. Aber ich weiß, dass ich kein Einzelfall bin.

In den Zeitungen finde ich kluge Tipps, wie ich meine Schnupfensymptome lindern kann. Im "Kurier" lese ich: "Wem die Nase besonders schnell läuft, der kann zu hochkonzentrierten Vitaminpräparaten aus der Apotheke greifen". Was? Meine Nase läuft? Ich dachte meine Nase rinnt! Eine Recherche in den Internetarchiven der Zeitungen fördert allerdings eine ganze Reihe ähnlicher Zitate zutrage. So ist beispielsweise die "Krone" einmal der Frage nachgegangen: "Wenn die Nase läuft. Halten Schnupfenmittel was sie versprechen?" Und der Ö1-Radio-Doktor meinte: "Wenn die Nase läuft: Unnötiges Leiden kann verhindert werden."

Liege ich da mit meinem Sprachgebrauch wirklich so daneben? Ich frage Freunde und Bekannte, meist sind es Schicksalsgenossen. Die fast einhellige Antwort lautet: "Meine Nase läuft nicht, sie rinnt." Aber meist sagen sie es mit umgekehrter Satzstellung: "Mir rinnt die Nase." Univ.-Prof. Heinz-Dieter Pohl weist mich darauf hin, dass "meine Nase läuft" bei uns keine Deckung in den Mundarten hat: "Mei Nosn laaft..." Das wird niemand so sagen. Manfred Glauninger von der Akademie der Wissenschaften vermutet, dass unsere Abneigung gegen bestimmte Bedeutungen von "laufen" eine Rolle spielt. In nördlicheren Gefilden verwendet man ja "laufen" auch für "gehen": "Lauf doch mal die Treppe hoch!" Und damit ist nicht "rennen" gemeint. . .

Eine Google-Recherche zeigt: Auf österreichischen Websites dominiert "die Nase rinnt", auf bundesdeutschen "die Nase läuft". Wir haben es also mit einem regionalen Sprachunterschied zu tun. Wo genau die Grenze liegt, lässt sich nicht ausmachen. In Vorarlberg scheinen beide Varianten gebräuchlich zu sein - "Nase rinnt" und "Nase läuft". In der sprachwissenschaftlichen Fachliteratur ist die Wendung leider nicht zu finden: Weder in "Wie sagt man in Österreich" von Jakob Ebner, noch im "Variantenwörterbuch des Deutschen" von Ulrich Ammon. Ich muss aber zugeben: Auch mir ist der Unterschied erst jetzt aufgefallen.

Univ.-Prof. Stephan Elspaß, er lehrt zur Zeit an der Universität Augsburg, schreibt mir: "Ich kenne aus der Nordhälfte Deutschlands nur ,Nase läuft. Die Vermutung liegt also nahe, dass ,Nase rinnt in Österreich und in Teilen Süddeutschlands, vielleicht noch in einem Zipfel der Schweiz verbreitet ist." Elspaß erstellt gerade einen "Atlas zur deutschen Alltagssprache", wo er über Internet-Umfragen die Verbreitung von bestimmten Wörtern abtestet. Er hat angekündigt, die nächste Umfrage den Schnupfensymptomen zu widmen. Wer jetzt schon in den Atlas schauen will, er ist unter http://www.uni-augsburg.de/alltagssprache abrufbar. Wäre auch schön, wenn sich möglichst viele Österreicher an den monatlichen Umfragen beteiligen.

Gibt es eine Erklärung, warum sich österreichische Journalisten für den fremden Sprachgebrauch "Nase läuft" entscheiden? Es könnte sein, dass Pressetexte von Pharmafirmen unreflektiert übernommen werden. Außerdem geht es um Körperausscheidungen, da neigen wir dazu, die heimischen Ausdrücke für ordinär zu halten und die fremden für elegant.

Wer dem Volk aufs Maul schaut, wird aber in der Schnupfenzeit von "rinnenden Nasen" schreiben, nicht von "laufenden Nasen". Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wenn jemand sagt "Seit gestern läuft meine Nase!", dann möchte ich antworten: "Ja, wenn das so ist, dann muss sie ja bald in St. Pölten sein!"