
Wie belastbar ist der Mensch? Offenbar sind wir die Generation von Labormäusen, an denen erprobt wird, wie viele Nachrichten über ungesühnte Korruption zumutbar sind. Der Freiheitliche Uwe Scheuch hat rein theoretisch seinen Teil schon ausgefasst, strampelt aber noch immer, und das muss ihm aus rechtsstaatlichen Gründen zugebilligt werden. Aber landesweit häuft sich seit Jahren viel Material, das noch in keine ordentliche Anklageschrift Eingang gefunden hat. Interessant ist, wie derzeit die Informationen aus der "Telekom Austria" tröpfeln. Dort sind jetzt die Guten am Werk, die über die Schlechten von gestern empört sind. Ihr Unmut ist auf einen 400 Seiten dicken Revisionsbericht angewachsen, aus dem täglich ein paar Neuigkeiten an die Öffentlichkeit sickern. Unschuldsvermutung versteht sich von selbst und in allen hier erwähnten Causen.
Aber wenn die behaupteten Kursmanipulationen von Aktien stimmen sollten, unterscheiden sich diese Delikte nicht wesentlich von den Plünderungen in Tottenham. Da und dort nutzten Freibeuter die Gunst der Stunde und bedienten sich, ohne etwas geleistet zu haben. In einer Zeit, in der die Telekom Sozialpläne für ein paar Tausend zu kündigende Mitarbeiter schmiedete, blies eine Gruppe von Managern zum großen Hollodrio müheloser Bereicherung mit Hilfe von Lobbyisten, die für solche Tätigkeiten in Branchenkreisen gewissermaßen gut beleumundet sind. Ein Geldregen von neun Millionen Euro für die Manager kurz vor Börse-schluss - und die Finanzmarktaufsicht hatte das Nachsehen.
Der große Unterschied zum Vandalismus in britischen Großstädten ist freilich, dass der geschockte britische Premierminister David Cameron die Hüter des Rechts dazu bringt, die Ganoven auf der Stelle einzulochen, um ihnen klarzumachen, was in einer liberalen, aber dennoch zivilisierten Gesellschaft nicht gestattet ist. Wahrscheinlich hat das der Richter, der Scheuch verurteilte, auch gemeint, als er von "Generalprävention" sprach. Deshalb ist die Aufregung darüber so groß. Generalpräventionen sind in Österreich bei Wirtschaftsverbrechen nicht landesüblich.
Jetzt muss man noch all die großen Affären dazu rechnen, die stocken. Der Bawag-Skandal ist über die Verurteilung Helmut Elsners nicht hinausgekommen - wie geht es eigentlich dem ehemaligen ÖGB-Präsidenten Fritz Verzetnitsch, der mit Gewerkschaftsvermögen eine zentrale Rolle spielte? Wie geht es dem Banker Julius Meinl V., der im April 2009 nach eineinhalbtägiger Untersuchungshaft gegen eine 100-Millionen-Euro-Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde?
Die Privatisierung der Bundeswohnbaugesellschaft Buwog ist sieben Jahre danach noch immer der Herd abenteuerlicher Verdachtsmomente über Untreue und Amtsmissbrauch bis in die Regierungsspitze hinein, ohne dass sich die Mühlen der Gerechtigkeit in Bewegung setzen. Desgleichen beim Verdacht der Untreue und Bilanzfälschung im Reich von Constantia Privatbank/Immofinanz/Immoeast: eine Fundgrube möglicherweise krimineller Machenschaften, die gewiss nicht auf bloß 400 Seiten fänden. Die Hauptsorge um die 2009 notverstaatlichte Hypo Alpe Adria scheint sich derzeit darin zu erschöpfen, Regressansprüche der Bayern abzuwehren, denen man dankbar sein müsste, dass sie den Skandal überhaupt erst ins Rollen gebracht haben. Skylink scheint zum Denkmal des Schweigens zu werden.
Hält man das alles aus? Der Härtetest läuft, ist aber leider ein Langzeittest mit offenem Ende.