Kürzlich besuchte mich Martin, der Survival-Berater, und war schockiert: Meine Wohnung erfüllt nicht einmal die primitivsten Sicherheitsstandards für den Moment des Weltuntergangs und das Leben danach. Keine Sicherheitstüre, keine Feuerstelle, die Fenster alt und undicht. Eine Gasmaske fehlt ebenso wie Wassertanks oder Brot in Büchsen. Immerhin gibt es einen Sportbogen. Allerdings ohne Pfeile. (Die vergaß ich beim Scheibenschießen im Garten meines Vaters.)
Dazu kommt eine gewisse bürgerliche Zurückhaltung meinerseits: Als Martin ein Seil am Gaszähler befestigte, um sich solcherart in den Hof hinab zu lassen, legte ich dagegen Veto ein. Ich weiß, es klingt verrückt: Aber ich wollte mich nicht den Fragen meiner Nachbarn aussetzen, warum ein Mann in Camouflage an ihrem Fenster vorbei geklettert sei und dabei Springerstiefel-Abdrücke an der Fassade hinterließ.
Sich die post-apokalyptische Welt auszumalen - sei sie von Sonnensturm, Super-GAU oder marodierenden Zombies zerstört -, bereitet vielen Menschen wohliges Vergnügen. Auch ich genieße bisweilen den Gedanken an die Rückkehr der Natur und das Fehlen des automobilen Dauer-Krachs. Zugleich legt eine solche Vision jedoch die eigene Begrenztheit offen. Wie lange überlebten wir wohl ohne Gas, Strom und Müllabfuhr? Ganz zu schweigen von den Qualen durch den plötzlichen Entzug von Smart Phone und Facebook.
Als Martin erzählt, dass es mit dem entsprechenden Wissen kein Kunststück sei, im Wald zu überleben, entsinne ich mich der Ausführungen des kanadischen Wissenschafters Pat Roy Mooney. Der hatte in Alpbach die These vertreten, dass wir die erste Generation seien, die mehr Technologien verliert als sie gewinnt.
Was unsere von der Wachstums-Philosophie indoktrinierte Gesellschaft als Stein der Weisen feiert, ist oft bloß ein Extra-Megapixel für die Handy-Kamera. Wirkliche Innovationen, meint Mooney, Träger des Alternativen Nobelpreises, seien rar. Zugleich gingen, während sich etwa die Agrarindustrie Patente auf Saatgut sichere und die Biodiversität stetig ausdünne, bewährte Kulturtechniken sukzessive verloren.
Was Mooney feststellt, spiegelt sich im Lebensalltag eines jeden Stadtmenschen. Die Fertigkeit etwa, gewöhnliche Kastanien zu Mehl zu verarbeiten, ist mir völlig fremd; vor 50 Jahren war das Allgemeinwissen. Überleben in diesem Sinne hat weniger mit Rambo zu tun als mit altem, verblassenden Wissen.
Martin liegt nicht ganz falsch, wenn er meint, dass uns die Technik zu abgehobenen, abhängigen und unglücklichen Wesen macht. Vielleicht entspringt die Lust am Weltuntergang genau dem Wunsch, das Leben stärker selbst zu bestimmen.
Matthias G. Bernold, geboren 1975, lebt als Journalist in Wien.