Die Veränderungen des Alltags kommen so unscheinbar und dauerhaft über uns, dass wir sie mitunter gar nicht bemerken. Da wächst die Stadt in den Himmel, wie im Bezirk Landstraße. Da stürmt das Partyvolk in bürgerlicher Montur den Ball der Veganer, einer Gesinnungsgemeinschaft, die noch vor wenigen Jahren als sonderbare Subkultur belächelt wurde. Da räumen Österreicher die Oscars ab. Und als sei dies noch nicht genug, mutieren Menschen zusehends zu Cyborgs - Mischwesen aus Fleisch und Mobiltelefon, die über eine Art kollektives Bewusstsein in Verbindung stehen.

War das Handy früher ein Mittel, um Distanz zu überbrücken, schlägt es nun die Brücke zwischen Argument und Beweis, zwischen Erzählung und Vorstellungskraft. Sitzen zwei beieinander, halten sie immer öfter das Smartphone dazwischen. Hast du dieses Video schon gesehen? Dieses Lied schon gehört? Wie hieß doch gleich der Schauspieler mit der Warze am Aug’? Ein Plausch, ein Bier, eine Tändelei - wo Worte, Blicke, vielleicht Berührungen genügten, laufen jetzt multimediale Präsentationen.

Einer meiner Freunde, Junggeselle und Kavalier, dokumentiert seine Eroberungen auf Facebook. Die musst du sehen, sagt er dann, und reicht mir sein iPhone mit den Bildern. "Damen-Quartett" nennt er es, halb ironisch, halb ernst.

Ich hingegen, süchtig nach Online-Kommunikation wie sonst nur auf Schokolade, will Bürgermeister der Friedensbrücke werden. "Bürgermeister" ist eine Auszeichnung im Verortungs-Spiel Foursquare, einer Smartphone-Anwendung, die den Nutzern die Erforschung ihres Lebensraumes erlaubt. Wer innerhalb von 60 Tagen am häufigsten an einem Ort "eincheckt", also bekannt gibt, sich dort aufzuhalten, dem verleiht das Spiel den Titel des Bürgermeisters.

Worin der Reiz besteht, die eigenen Wege zu offenbaren und die Stadt samt ihren Sehenswürdigkeiten zu kartographieren, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls begann ich unmittelbar nach Herunterladen der App mit dem Einchecken: Feiern auf dem Badeschiff beim Veganer-Ball, Frühstücken im Café Monarchie in der Nussdorferstraße, romantischer Winterausflug zum Lebensbaumkreis Am Himmel. Dort, über der unsichtbaren Stadt, fotografierte ich das Nützlingshotel und fügte es als Erster zur Foursquare-Datenbank. Stolz wie ein Entdecker, der im Neuland sein Banner hisst.

Damit nicht genug, wird in naher Zukunft meine Flagge von der Friedensbrücke wehen. Und wenn ich erst Bürgermeister bin, mache ich Schluss mit dieser nutzlosen Plexiglaswand, die uns den Blick auf den Donaukanal raubt. Statt einen Moment lang die Aussicht ins richtige Leben genießen zu können, gaffen wir weiter in den Mini-Bildschirm. Richtiges Leben? Sie sind jetzt ausgecheckt.

Matthias G. Bernold, geb. 1975, lebt als Journalist in Wien.