Pfui! Früher hätt’ sich das in der Öffentlichkeit keiner getraut. Noch dazu, wenn Kinder dabei sind. Das ist immerhin eine obszöne Geste. Ich hab gedacht, mir trennt sich gleich der Rollkragen auf und ich zeig den Kerl an, der da so anzüglich . . . in der Nase bohrt. Wegen symbolischer sexueller Belästigung. Denn um die Zunge rauszustrecken (Gebärdensprache für "Briefmarke"), dem Ferkel also zu bedeuten: "Frankier mir den Allerwertesten!", dazu war ich zu feig. Ich geh ja nicht einmal bei Rot über den Teppich. Okay, vielleicht über die Straße. (Im Affekt.) Eventuell hab ich ein paar Mal meine große Zehe nach dem Ende der Grünphase vorsichtig in die Fahrbahn eingetunkt. Um die Verkehrssicherheit zu prüfen. Und wenn mir keiner drübergefahren ist, bin ich losgerannt. Aber ab sofort werd’ ich andere Seiten umblättern. Das Universum hat mir schließlich ein Zeichen gegeben. Dass es einen Plan hat. Dass wir uns von ihm geradezu wünschen sollten, dass sich einer vor uns reindrängt, nur um uns dann seinen komatösen Fahrstil vorzuführen. ("Du, rollt der no oder parkt der scho?") Oder dass uns wer auf die Schuhe oder den Teppich spuckt. Die tun das doch nicht zum Spaß oder weil sie was kompensieren müssten. ("Is dei z-Koordinate zu kurz, oder wos host für a Problem?") Nein, damit mehr Genies geboren werden. Ähm, und wie soll das funktionieren?

Also. Stell dir vor, es ist still, und keiner hört zu. Sondern lieber Musik. Dezibellissimo. Um zwei in der Früh. Sonst haben die Nachbarn ja nix davon. He, ist der da oben terisch? Wegen dem müssen sie in der U-Bahn sicher dauernd durchsagen: "Infolge der Erkrankung eines Fahrgastes an Taubheit kommt es in beiden Fahrtrichtungen zu längeren Zugsintervallen." Weil "Steigen Sie nicht mehr ein!", das schreckt so wen nicht ab. (Stell dir vor, der Zug ist längst abgefahren, und die Leute steigern sich immer noch rein. Und ihre Kinderwägen benutzen sie als Rammböcke.) Und wie ich mit dem Besen pumper, hau ich einen Stapel DVDs um. Aha, das Universum will, dass ich mir einen Film anschau. Weiß das Universum überhaupt, wie spät es ist? Hm. Und welchen? Am besten zieh ich einfach einen raus. Oh, "Der dritte Mann". Nach eineinviertel Stunden fällt es mir wie Veilchen von den Augen. Der Harry Lime, dieser Penicillinpanscher, der schuld ist, dass die Patienten in ihren Betten plötzlich tot umfallen, versucht zu beruhigen: "Es ist alles halb so schlimm. Denk dran, was Mussolini gesagt hat: ,In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut. Aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!’" Endlich weiß ich, was von mir erwartet wird. Und wenn es sein muss, kann ich arschlöchriger sein als ein Schweizer Käse. ("Wollen Sie sich hersetzen mit die Krücken?" - "Danke, ganz lieb." - "Dann müssens erst meine Leiche von diesem Sitz runterzerren!") Na ja, sooo toll ist die "Mona Lisa" auch nicht, dass wir eine zweite bräuchten. Gut, wenn sie bloß zu jeder vollen Stunde lächeln tät . . . Mir kann später jedenfalls keiner vorwerfen, die Renaissance 2.0 wär meinetwegen ausgefallen.