Frühlingszeit war Festspielzeit - zumindest im alten Athen. Da machte sich die ganze Stadt bereit, um einem ihrer bedeutendsten Götter zu huldigen und ein Fest zu feiern, das sich über mehrere Tage hinzog.
Ursprünglicher Anlass des Festes war das Erblühen der Natur nach den langen Wintermonaten - ein Ereignis von essenzieller Bedeutung für eine Gesellschaft, in der die große Mehrheit ihr Auskommen als Bauern fand. Kein Wunder also, dass die alten Griechen den Gott der Fruchtbarkeit und Verwandlung, Dionysos, besonders verehrten.
In Athen erlebte der Dionysos-Kult im 6. Jh. v. Chr. einen wahren Boom: Damals herrschte der Tyrann Peisistratos, der vor allem in bäuerlichen Schichten Unterstützung fand. Um seiner Klientel etwas Besonderes zu bieten, führte er 534 v. Chr. ein neues Stadtfest ein, die "Großen Dionysien". Die Bedeutung des Festes zeigte sich schon darin, dass für seine Ausrichtung der höchste Beamte der Stadt, der Archon Eponymos, verantwortlich war.
Der erste Festtag begann mit einer Prozession zum Tempel des Dionysos und großen Opferzeremonien, an denen sogar Frauen teilnehmen durften - in der Antike keine Selbstverständlichkeit.
Der Nachmittag gehörte den Dithyrambenchören, die eine ganz eigene Mischung aus Gesang und Tanz darboten. Dabei stellte jeder der zehn politischen Bezirke einen Knaben- und einen Männerchor von je 50 Personen. Es traten also insgesamt 1000 männliche Athener auf, ein eindrucksvolles Zeugnis für die kulturelle Breite der Stadt. Bei den Aufführungen ging es zwanglos und ausgelassen zu: "Während des ganzen Festes wurde Wein ausgeschenkt und es gab Knabbereien. Auch den Chören reichte man zum Auftritt und wenn sie die Bühne wieder verließen zu trinken."
In klassischer Zeit ging es am zweiten Tag mit den Aufführungen von Komödien weiter. Sie wurden von gewählten Kampfrichtern beurteilt und der beste Komödiendichter am Abend verkündet.
Vom dritten bis zum fünften Tag standen - als kultureller Höhepunkt - die Tragödien auf dem Spielplan. Pro Tag wurden drei Tragödien und ein Satyrspiel von ein und demselben Dichter aufgeführt. Der Sieger in diesem Agon (Wettstreit) wurde am Abend des fünften Tages gekürt. Damit waren die Dionysien formal zu Ende.
Doch es gab ein politisches Nachspiel: in einer eigens einberufenen Volksversammlung wurde über das Fest diskutiert und die Leistung der Organisatoren evaluiert. Jeder Bürger hatte das Recht, auf etwaige Schwachpunkte oder Fehlleistungen hinzuweisen. Ein Zeichen dafür, dass bei den Großen Dionysien neben Kult und Kultur auch die Politik eine wichtige Rolle spielte.
Mario Rausch, geb. 1970, studierte Klassische Archäologie und Alte Geschichte und lebt als freier Publizist in Klagenfurt und Wien.