Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Ich steh’ in der U-Bahn. Genauer gesagt vor der Tür, da ich aussteigen will. Da fällt mein Blick auf ein Pickerl, das da in Augenhöhe klebt, und mir verkündet: "Jesus ist die Antwort." Aha, denk ich mir, der also. Die Tür geht auf und ich steig aus.

Der Satz aber lässt mich nicht mehr los. "Jesus ist die Antwort."

Für mich klingt das so freikirchlich. Protestantisch. Mit einem Wort: fremd.

Dabei kenn ich den Herrn Jesus eigentlich ganz gut. Bin ja brav katholisch sozialisiert worden. Ich weiß, wie der Jesus in unserer Kirche in den Armen der Maria gelegen hat und beide dabei nicht gerade glücklich ausgesehen haben (er: tot, sie: traurig) und ich mich damals schon gewundert habe, warum die Mutter eigentlich jünger aussieht als der Sohn. Aber so genau ist der Katholik da nicht. Er sagt ja auch regelmäßig "durch ihn und mit ihm und in ihm", was einem grammatikalischen Verknotungskunststück gleichkommt. Und der Pfarrer unserer Kirche hat auch viel von Jesus gesprochen. In der Abgeschiedenheit seines Pfarrhauses hat er dann noch weiter in Form von Messwein mit ihm Zwiesprache gehalten. Zumindest ließ sich das aus seiner beständig wachsenden roten Nase schließen. Das war ein gemütlicher Mann.

Gefährlich war dagegen der Diakon, der - so ging das Gerücht - gern ungefragt Watschen an die Ministranten ausgeteilt hat und einen

Schnurrbart sein eigen nannte, dessen Form ich erst Jahre später wiedererkannte, als ich zum ersten Mal ein Porträt von Engelbert Dollfuß betrachten durfte.

Das war für mich das Umfeld vom Herrn Jesus. Katholisch, leicht verdruckst, mit Neigung zum Alkohol und autoritären Strukturen. So

kennt man das doch. Aber von diesen Menschen würde niemals einer auf die Idee kommen, irgendwohin Pickerln zu picken. Noch dazu mit dem Satz: Jesus ist die Antwort.

Das ist eindeutig importiert. Das riecht förmlich nach amerikanisch-evangelikalem Missionsgedanken, der seinen unterdrückten Geschlechtstrieb durch übertriebene Frömmigkeit zu kompensieren versucht. Wenn nicht gar durch Schusswaffengebrauch.

Find ich nicht gut.

Und zweitens ist das inhaltlich nicht sehr belastbar. Denn, wenn Jesus die Antwort ist, was bitte ist die Frage? Wer wird neuer Trainer bei der Austria? Jesus! Wer neuer Geschäftsführer dieses Blattes? Jesus! Wer arbeitet eigentlich aller mit der NSA zusammen? Jesus! Verdammt noch mal ist das heiß, wer soll denn diese Hitze aushalten? Jesus!

Aha. Und was ist die Quadratwurzel von 4052169? Jesus. Wie hoch ist das Budgetdefizit in Kärnten? Jesus! Warum muss der ORF für viel Geld Fußball-WM und Olympia übertragen? Wegen Jesus? Wie lange gehen die Proteste in der Türkei noch weiter? Wie lange in Brasilien? Einen Jesus? Wer spielt denn heuer auf dem Donauinselfest? Jesus??

Nein . . . jetzt wird’s blöd. Liegt aber auch an der Hitze. Da kann man ja nicht denken. Hab’ auch was anderes zu tun. Muss Kolumne schreiben. Aber worüber? Jesus!

Aus! Nein. Es reicht.

Möchte wissen, welcher Idiot dieses Pickerl in die U-Bahn pickt.

Weil Jesus war es sicher nicht.