Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Wenn dieses Wochenende die Schüler, Studenten und Familien endlich in ihren wohlverdienten Urlaub aufbrechen, dann nehmen alle, die nicht über Stunden auf Autobahnen im Stau stehen

wollen, den Zug. Das ist eine gute Idee. Das schont die Umwelt und laut dem längst vergangenen Slogan der ÖBB "Nerven sparen, Bahn fahren" auch das neurologische System. Die Realität sieht freilich noch viel schöner aus.

Wer in Wien West einsteigt, findet einen Zug vor, in dem sich Menschen wie Postpakete stapeln. Und sich auch so fühlen. Vier aggressive St. Pöltner, die zurück in ihr Body-Building-Studio wollen, stehen im Gang und beantworten die Frage "Darf ich mal durch?" mit leichtem Wackeln des Innenohrs.

Die Salzburger Familie daneben besteht aus drei bis vier Kindern (das ist nicht mit Sicherheit festzustellen, da eins - oder zwei? - immer wieder kreischend unter der Sitzbank verschwinden), der Mutter, die den Kleinsten mal im Waggon frisch wickelt, dem Heavy-Metal-Vater, der zu seinen afrikanischen Holzketten um den Hals

auch Tätowierungen am Hals trägt, die ihn als Fan der Band Böhse Onkelz ausweisen, sowie der Oma, die ihren Enkeln gegenüber den Doppel-Satz "Na, wer ist da? Ja, die Oma ist da!" stets Mantra-artig wiederholt. Bis Bregenz.

Auf der anderen Seite des Waggons, jenseits des Höhenzugs, der aus Hartschalen-Koffern, Rucksäcken, Laptop-Taschen, einem Klappfahrrad, zwei kompliziert verpackten Ölgemälden (der Künstler ist anwesend, er liegt im Gepäcksnetz), mehreren Surfbrettern und einer scharfkantigen Konstruktion, die aussieht wie ein Rasenmäher von Dalí, besteht, sitzt eine Gruppe Studenten, die unter ihren Kapuzenpullis von Kopftuchträgerinnen kaum zu unterscheiden sind und mit ganzer Kraft versuchen, den Stoff des letzten Semesters mittels

Alkohol wieder zu löschen. Wahrscheinlich Biologie-Studenten, da einer von ihnen beginnt, schon wieder Experimente mit seinem Mageninhalt und dem T-Shirt seines vis-à-vis zu machen. Die Grenze zwischen Wissenschafter und Wischen-Saftler ist sichtlich eine fließende.

Im Kinderabteil läuft im Bordkino "666 - Zombie-Kettensägen-Massaker am Mars" und die vierjährigen Zuschauer beginnen das Erlernte so gleich aneinander umzusetzen. Die ebenfalls anwesenden Väter be-trachten gebannt das Treiben und spielen dazu Mikado: Der Erste, der sich rührt, verliert.

Im Speisewagen dagegen herrscht Stimmung, wie seit der Ski-WM in Schladming nicht mehr, da eine Gruppe paranoider Pensionisten sich zur Melodie von "Ein Stern, der deinen Namen trägt" die schönsten "Kronen Zeitung"-Schlagzeilen der letzten 40 Jahre in Sprechchören vorsingen. Und gerade als der Schaffner die Lage im Zug mit der Durchsage "In diesem Zug ist die Sicherheit nicht mehr gegeben" zusammenfasst, beschließt man nächste Woche auch in die Ferien

zu fahren. Ins Hochgebirge, ans Polarmeer, auf einen Jupitermond oder sonst wohin, wo sicher keine Menschen sind.

Und dann fährt der Zug los.