Ich habe sie gezählt, die Stunden, und in Summe waren es 62. Zehn im Schnitt und pro Tag, die ich im Tiefschlaf verbrachte. Dazu viele, in denen ich im Halbdunkel des Zimmers brütete. Berieseln-Lassen, passiv abhängen, richtungsloses Dahintreiben auf dem Videoportal YouTube: Alte Folgen von "Raumschiff Enterprise". Dazwischen Musikvideos, Zusammenschnitte denkwürdiger Filmzitate des US-amerikanischen Actionfilm-Darstellers Chuck Norris und die "Top 10 Hilarious Movie Deaths" (darin zerplatzt übrigens einer vor Zorn).
Wie viel Müßiggang braucht der Mensch? Wie viel davon tut ihm gut? Wann wird das Nichtstun sündhaft oder unerträglich?
Die Antworten auf diese Fragen fielen im Lauf der Menschheitsgeschichte unterschiedlich aus. Die Lutherische Position, dass Müßiggang Todsünde und aller Laster Anfang sei, steht am einen Ende des Spektrums. Am anderen die des Denkers Bertrand Russell, der im Müßiggang ein Heilmittel gegen "nervöse Gereiztheit, Übermüdung und schlechte Verdauung" erblickte. Sogar gegen die Lust am Krieg: Schließlich sei auch Kriegsführen harte Arbeit.
Welche Position auch immer wir letztlich beziehen: Klar ist, dass das Internet den Müßiggang enorm vereinfacht. Daher ist es praktisch, dass immer mehr Privatzimmer in den Touristenorten Kroatiens mit drahtlosem Internet ausgestattet sind. Was meine selbstgewählte Isolation während der vergangenen Tage betrifft: Ich kann alles erklären. War ich doch nach sechs Tagen Anreise per Fahrrad rechtschaffen erschöpft.
Rovinj, die kleine Hafenstadt an der kroatischen Adria-Küste, die aussieht, als wäre sie aus dem Meer hinauf zur Euphemia-Kirche gekrochen, war vergangene Woche Schauplatz eines der größten Salsa-Festivals in Europa. Tausende Teilnehmer kamen aus allen Teilen der Welt, um lateinamerikanisch zu tanzen und zu feiern: Tagsüber bei Pool-Partys und Workshops, geleitet von Salsa-Größen wie Eddie Torres aus New York; nächtens auf dem Hauptplatz und in der alten Tabakfabrik.
Ein guter Freund, seit Jahren mit der Salsa-Szene vertraut, hatte mich auf die Idee gebracht. Er ließ sich überzeugen, die 600 Kilometer durch Ungarn, Slowenien und Kroatien mit dem Fahrrad zurückzulegen. Ich kündigte meinerseits an, mich im Tanz zu versuchen. Doch statt - wie er - berauscht vom Rhythmus durch die Nächte zu schwingen, sog mich der Müßiggang ins Zimmer.
Der Selbstversuch lieferte mir immerhin die Antwort auf die Frage, wie lange Dolce far niente auszuhalten ist. In meinem Fall: maximal sechs Tage. Danach wird dem Ich wird die eigene Präsenz genauso unerträglich wie die "Top 10 Hilarious Movie Deaths". Dennoch: Den Test war es wert. Wie singt Konstantin Wecker: "Genießen war noch nie ein leichtes Spiel."
Matthias G. Bernold,geboren 1975, lebt als Journalist in Wien.