
Wie oft hab ich diesen Satz nicht schon gehört! "Reg Dich doch nicht so auf!", klatscht mir ins Gesicht. Oder streicht ihn mir aufs Butterbrot. Flötet ihn engelsgleich in mein Innenohr. "Reg Dich doch nicht so auf!" Es hat noch nie geholfen.
Und das hat zwei Gründe.
Erstens: Ich reg mich gerne auf. Ich liebe es, mich aufzuregen. Es ist eine absolut vitale Gegenreaktion auf die mich umgebende Welt aus Gewalt, Dummheit, dem Kleinformat und Karl Heinz Grasser. Was soll man denn sonst tun? In Gleichmut versinken? Sich philosophisch davon absetzen? Das alles "nicht so nah an sich heranlassen"?
Das klingt immer so schön. So menschlich abgehangen, richtiggehend erwachsen. Ja, und es gibt ein sehr altes Wort dafür: Ignoranz.
Ich weiß, mit solchen Sätzen macht man sich keine Freunde. Aber ich will mir manchmal auch keine Freunde machen. Sondern: Ich will mich aufregen!
Gründe gibt es jede Menge: die Verspätungen der ÖBB, hupende Autos, zugekackte Grünflächen, rücksichtslose Autoradiobesitzer, die Dich ungefragt an ihrem fragwürdigen Musikgeschmack teilhaben lassen, der syrische Bürgerkrieg, kaputte Glühbirnen, Strommonopole, die Zahlscheine meiner Sozialversicherung, gutgemeinte Ratschläge, die politische Situation in Ägypten, die allgemeine Orientierungslosigkeit (und damit mein ich nicht die Typen, die - kaum sind sie runter von der Rolltreppe - stehen bleiben, aber die mein ich natürlich auch), dann Menschen, die dauernd an ihren Mitmenschen etwas auszusetzen haben, Menschen im Allgemeinen, Hunde, Katzen, Vögel - vor allem Tauben - und die Preissteigerung bei gleichzeitiger Verschlechterung der Qualität im Supermarkt, die Eurokrise, Bankmanager, alle Kapitalisten und diese ganzen Pseudorevoluzzer, die sich dauernd nur aufregen.
Und über Österreich kann ich mich auch aufregen. Vom biederen Bregenz übers ignorante Innsbruck, weiter über das satanische Salzburg bis zum lächerlichen Linz, vom prölligen St. Pölten und bis zum windigen Wien. Vom grausamen Graz will ich gar nicht reden. Ebenso wenig wie über das elende Eisenstadt. Und über Klagenfurt, diesem Stadt gewordenen Kollateralschaden, kann ich mich auch sehr gut aufregen. Und über tausend andere Dinge auch: Abschiebungen, Mehrwertsteuer, die NSA, steigende Zigarettenpreise, verschobene Fußmatten, Plastikmüll in den Ozeanen und Justizministerinnen, die den Strafvollzug mit Paradiesen vergleichen.
Egal, ich reg mich auf. Und zwar gerne!
Und zweitens: Selbst, wenn ich völlig ruhig bin. Zufrieden mit der Welt, im absoluten Gleichgewicht schwebend, in völliger Harmonie langsam zufrieden verblödend, in meiner endlich gefundenen ruhenden Mitte der vollständigen Demenz entgegendämmernd, nur noch Mittelworte der Gegenwart verwendend, dann gibt es etwas, das macht mich echt fuchsig. Da krieg ich so einen Hals! Das treibt mich in den Wahnsinn. Da geh ich durch die Decke.
Und das ist, wenn irgendwer zu mir sagt: "Reg Dich doch nicht so auf."