Sommer haben ihren Trend. In meinen Kindertagen war Softball-Tennis angesagt: Mit Holzbrett-artigen Schlägern wurde ein kleiner Gummiball über den Strand gewuchtet. In den 1990er-Jahren kam Beachvolleyball und hat bis heute kaum an Attraktivität verloren. Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war geprägt von Boules: Glänzende Eisenkugeln flogen damals - nicht ungefährlich - durch den Augarten und verliehen dem Park eine Nuance Marseille (nur ohne Fischgeruch). Wenig später begannen die Menschen mit Bällen, Keulen und Diabolos zu jonglieren. Sie spannten Slacklines zwischen die Bäume und wackelten darauf herum. Zu später Stunde entzündeten sie Feuerstäbe oder Pois und schrieben geheimnisvolle Flammen-Linien in die Nacht.

Heuer, so scheint mir, finden die Menschen Gefallen daran, einander auf den Beinen zu tragen.

Am Anfang war es nur der sehnig-hautige Yoga-Guru, der - rücklings auf dem Boden liegend - eine Frau auf seine in die Höhe gestreckten Beine hob. Scheinbar schwerelos schwebte die Dame, gehalten von der eigenen Körperspannung und den Beinen des Meisters, über der Angeliwiese an der Alten Donau. Irgendwann begann sie um den eigenen Nabel zu rotieren wie ein Windrad (nur horizontal), oder sie kippte nach vorn, griff nach den Armen des Sehnigen und hob sich peu à peu in den Handstand.

Es war wie ein Tanz in Zeitlupe und spektakulär anzusehen. Während der heiße Wüstenwind über das Ufer fegte, als wollte er die Badegäste schneller und gründlicher trocknen als ein Dyson-Airblade in einem öffentlichen WC; während die einen Radler tranken und die anderen Gitarre spielten oder Violine, gingen mehr und mehr Menschen dazu über, einander ebenfalls auf die Beine zu nehmen. Bald war die Wiese voll mit Zweiergruppen und schwebenden Menschen. Als wäre dies noch nicht spektakulär genug, erhob sich eines Tages auf der Wiese eine Menschenpyramide: Ganz nach Vorbild der katalanischen Castells, wo Leute einander besteigen, bis sie als mehrstöckiger Turm aus Humankapital in den Himmel ragen.

Faszinierend, wozu der Mensch in der Lage ist! Und obendrein bei dieser Hitze. Obwohl, vielleicht ist das bloß falsch gedacht. Vielleicht macht erst die Hitze solche Leistungen möglich. Erst zermürbt sie uns, lässt uns scheintot unter dem Ventilator schmachten. Dann zwingt sie uns raus aus den stickigen Räumen, ans Wasser und zueinander. Was liegt näher, als die körperliche Nähe zu nutzen zu und genießen?

Wie immer sich der jüngste Sommer-Trend erklären lässt: ein Wolkenbruch schwemmte ihn hinfort. Akro-Yogis und Hobby-Castellers bleiben vorerst daheim. Solange jedenfalls, bis der Sommer wieder da ist. Und mit ihm vielleicht der nächste Trend.

Matthias G. Bernold, geb. 1975, lebt als Journalist in Wien.