Was hat sich die Marketingabteilung von Volkswagen da wohl gedacht? Ein Auto ausgerechnet Phaeton zu nennen, ist - bezogen auf die Lebensgeschichte des namensgebenden griechischen Heros - ziemlich verwegen: Phaeton war kein Geringerer als der Spross von Sonnengott Helios und Klymene, einer Tochter des Meeresgottes Okeanos, also ein überaus prominentes Mitglied des Götterhimmels. Doch die edle Abstammung rief auch Neider auf den Plan. Sie brachten das üble Gerücht in Umlauf, Phaeton sei gar nicht der Sohn des Helios. Die mit dieser Lüge konfrontierte Mutter riet ihrem Sohn, den Sonnengott aufzusuchen und sich von diesem persönlich seine Sohnschaft bestätigen zu lassen. Tatsächlich empfing Helios seinen Sohn überaus freundlich und stellte ihm gar einen Wunsch frei, den er in jedem Fall erfüllen würde.

Der junge Phaeton wünschte sich, einmal des Vaters Sonnenwagen lenken zu dürfen. Helios, der genau wusste, wie schwierig dieses Himmelsgefährt zu kontrollieren war, versuchte seinen Sohn von dem Wagnis abzuhalten, vergebens. Als die Nacht zu Ende ging, bestieg Phaeton das göttliche Viergespann und begann seine Fahrt durch die Lüfte. Doch schon bald verlor er die Kontrolle über das Gefährt und näherte sich rasend schnell der Erde.

Das Ergebnis beschreibt der Dichter Ovid als Naturkatastrophe globalen Ausmaßes: "Die Erde geht in Flammen auf, die höchsten Gipfel zuerst, tiefe Risse springen auf, und alle Feuchtigkeit versiegt. Die Wiesen brennen zu weißer Asche; die Bäume werden . . . versengt, und das reife Korn nährt selbst die es verzehrende Flamme. . . Große Städte gehen mitsamt ihren Mauern unter, und die ungeheure Feuersbrunst verwandelt ganze Völker zu Asche."

Dieses Horrorszenario blieb natürlich auch den Bewohnern des Olymps nicht verborgen. Es war der Göttervater Zeus selbst, der dem Treiben ein Ende setzte, indem er den Sonnenwagen mit einem seiner Blitze zertrümmerte. Der tollkühne Lenker aber stürzte in die Tiefe und schlug im Fluss Eridanus (dem heutigen Po) auf.

Seine Schwestern waren ob ihres Verlustes so verzweifelt, dass sie zu Pappeln wurden und bittere Tränen vergossen, die in Form von Bernstein zu Boden tropften. Auch Phaetons Geliebter, der ligurische König Kyknos, eilte herbei und brach in lautes Wehklagen aus. Gott Apollo erbarmte sich seiner und verwandelte ihn in einen Schwan. Der verlieh seiner Trauer über den Tod des geliebten Freundes in Form eines ergreifenden Schwanengesangs Ausdruck.

Dem verunglückten Himmelsstürmer setzte man einen Grabstein, auf dem zu lesen war: "Hier ruht Phaeton, der Lenker des väterlichen Wagens. Zwar konnte er ihn nicht steuern, doch er starb als einer, der Großes gewagt hat."

Mario Rausch, geb. 1970, studierte Klassische Archäologie u. Alte Geschichte; lebt als freier Publizist in Klagenfurt und Wien.