
Das Hotel lag etwas außerhalb der Stadt. Mitten im Gewerbegebiet, zwischen Autohäusern, Möbeldiskontern und Fitnesscentern, in denen Menschen, die sich von alleine nicht bewegen wollen, Geld abgeknöpft wird, damit sie sich bewegen müssen. Irgendwo in diesem Gewerbegebiet gibt es anscheinend auch einen sogenannten Nachtklub, in dem junge Frauen aus Osteuropa "völlig freiwillig" ihre Körper feilbieten. Vielleicht wird aber auch in dem Haus mit den leuchtend roten Buchstaben, das ich von meinem Fenster aus sehen kann, über existentialstische Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts diskutiert.
Ich komme nachts nach der Vorstellung an und bemerke sogleich den riesigen schwarzen Nightliner, der vor dem Congress&Wellness-Park-Hotel steht. Aha, denk ich mir, da ist wohl heute eine Rockband abgestiegen. Wer wohl? Muse? In der Gegend eher nicht. Seeed? Das sind doch mindestens 13 Leute. Da reicht ein Nightliner nicht. EAV? Gibts die noch? Egal. Ich geh schlafen.
Nach dem Frühstück aber tritt die Wahrheit ans Tageslicht. Schlecht gelaunt trotte ich durch die Gänge des Hotels und - zack - da steht er: Blond wie Helene Fischer, muskulös wie Herman Maier und mit einem strahlenden Lächeln, wie es sonst nur amerikanische Cheerleader in ihre Gesichter tackern können, steht er direkt vor mir. Ich erstarre. Da ist er! Der Gottseibeiuns des Intellektualismus, der Antagonist der Aufklärung, die menschgewordene Alles-ist-gut-Maschine: Hansi Hinterseer. Sofort suche ich fieberhaft nach der perfekten Formulierung, die den Hansi der Nation im Handumdrehen dazu bringen wird, nur noch mit Zwölfton-Opern voll sozialkritischem Inhalt auf Tour zu gehen. Und während ich suche, lässt er sich mit zwei Herren fotografieren. Hansi lächelt, Handys blitzen, er sagt "Pfiat Eich!" und geht die Treppen hinauf. Weg ist er.
Das war sie. Meine große Chance. Ich hätte etwas sagen können! Etwa: "Herr Hinterseer! Wissen Sie, dass Sie ihre Fans eigentlich für blöd verkaufen? Sie lassen sie schunkelnd verblöden! Sie stehen für eine provinzielle Heimatstümelei, die als einziges Glück kennt, ,in die Berg zu sein! Sie sind der Werbeträger der unersättlichen österreichischen Tourismusindustrie, die die Flora und Fauna der Bergwelt ruiniert. Und zur Farbauswahl der aktuellen Skimode hab ich noch gar nichts gesagt!"
Was hätte er wohl drauf gesagt? Vielleicht hätte er mich auf diese Hansi-Hinterseer-Art in den Arm genommen und gesagt: "Mei, Bursche, schau! Vor wie viel Leit hast Du gestern gspüt? 100? 150? Schau, i hab die Arena da gestern ausverkauft. Und warum? Wei die Leit hoit a wengerl glicklich sei woin. Desch is hoit so bei uns in da Hoamat. Des muast a versteng. Und ischt do bessa, di kumman zu mia, ois wia zum Strache, odr? Oiso, kumm, sing ma wos mitnanda!"
Wahrscheinlich besser, dass ich nichts gesagt hab.
Sonst würde jetzt womöglich ein Handy-Video im Internet kursieren, mit dem Titel:
"Hinterseer und Groebner singen ,In die Berg bin i gern."