Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Die Moral verfalle, die Sitten verrohen und so zerbrösle letztendlich der letzte Rest von abendländischer Kultur. So sorgt man sich nicht nur zwischen Bregenz und der Brigittenau, sondern vom Nordkap bis nach Sizilien. Überall dasselbe Lamento.

Nach Beispielen gefragt, führen die von Sorge zerfurchten Gesichter stets gerne die allzu lockere Sexualmoral ins Feld. Am Zeitungsstand, auf Plakaten, im Internet... überall Sex! Dazu kommen noch Homosexuelle, die sich offen zu ihrer Orientierung bekennen, anstatt sich wie früher heimlich auf öffentlichen Toiletten zu verstecken.

Ja, so hört man, das Ende ist nah, wenn schon harmlose katholische Geistliche regelmäßig von ihren triebhaften Schutzbefohlenen verführt werden, diese zu missbrauchen. Tabulos, so der immer gleiche Vorwurf, sei diese Gesellschaft. Ohne Scham!

Und das genau stimmt nicht. Denn so sehr man auch die Liberalität, die in den letzten Jahren sogenannte gesellschaftliche "Randgruppen" ins Rampenlicht gezerrt hat (jetzt sind diese Menschen immer noch am Rand, aber besser beleuchtet), feiern oder verteufeln mag, dass heute alle über alles öffentlich sprechen könnten, ist purer Unsinn.

Denn nach wie vor gibt es massive Tabus. Intimste Dinge, die nur in ganz privaten Situationen und selbst da nur flüsternd besprochen werden. Pikante Details, die man doch am liebsten in einen Mantel des Schweigens hüllt. Ja, es gibt sie immer noch.

Glauben Sie nicht? Na, dann fragen Sie doch einen beliebigen europäischen Finanzminister, wer eigentlich von den Rettungen und Verstaatlichungen der Banken profitiert hat, die so unhinterfragt die letzten Jahre durchgezogen wurden (zum Beispiel: Hypo-Alpe-Adria). Dann wird er zu schwafeln anfangen, etwas von System-Relevanz erzählen, die Wirtschaft wird er ins Treffen führen und das Wohl aller. Aber er wird Ihnen nicht sagen, wer davon profitiert hat.

Und doch muss irgendwer ja das Geld bekommen haben, das wir Steuerzahler da hineingesteckt haben. Das ist ja nicht verdampft. Aber wer?

Ihre Namen kennen wir nicht. Nur die Namen ihrer Dealer, die Blackrock, Deutsche Bank oder Raiffeisen heißen, erfahren wir ab und zu.

Doch wer tatsächlich die Menschen sind, die ihre Einlagen, die - kaum waren die Einlagen durch den Steuerzahler gerettet - wieder abgezogen haben und woanders hineingesteckt haben, damit sie dort Profit machen, sagt man uns nicht. Gut, wir wissen, man nennt die Besitzer der Einlagen Anleger. Oder Reiche. Oder Gstopfte. Die wohnen auch nicht auf dem Mond oder gehen durch Wände oder schlafen in einem Sarkophag.

Nein. Sie leben unter uns. Eine Parallelgesellschaft von Vermögenden, deren Besitz und Reichtum durch uns alle regelmäßig garantiert und gerettet wird. Aber darüber spricht man lieber nicht. Das ist doch peinlich.

Vor allem für uns Steuerzahler, dass wir nämlich so blöd sind, denen ihre Spielgeldkasse immer wieder aufzufüllen.

Wem? Das fragt man nicht. Das ist ein echtes Tabu. Pssst!