Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Das kann doch nicht sein, sagt man sich, das kann doch wirklich nicht wahr sein, dass einfach so ein Flugzeug verschwindet! Eine ganze Boeing 777 ist einfach futsch! Das gibt es doch heute gar nicht mehr!

Satelliten, Kameras, Bewegungsmelder, unser weltweiter Überwachungsstaat zum Mitmachen kann doch alles stets lokalisieren. Und wenn nicht, dann schauen wir halt bei Google nach.

Aber dass einfach etwas verschwindet, das sind wir nicht mehr gewöhnt.

Warum eigentlich? Es verschwinden doch dauernd Dinge. Und Menschen. Im Mittelmeer zum Beispiel. Oder auch anderswo. Waren nicht vor ein paar Jahren alle Medien voll von den CIA-Gefängnissen, in denen ständig Menschen verschwanden? Und wahrscheinlich heute noch verschwinden. Und auch verschwunden bleiben. Aber davon redet heute keiner mehr. Also die Gefängnisse gibt es zwar sicherlich immer noch, aber die Angelegenheit ist einfach aus den Schlagzeilen verschwunden.

Dafür wurden neue Themen durch den medialen Durchlauferhitzer gepumpt. Man erinnere sich an den isländischen Vulkan, der vor ein paar Jahren den gesamten europäischen Flugverkehr lahmgelegt hat. Ein bisschen Asche und Staub aus dem hohen Norden und schon waren alle Flugzeuge am Himmel verschwunden. Also man wusste schon - im Gegensatz zu MH370 -, wo sie waren, aber am Himmel war nichts mehr von ihnen zu sehen. Das war irgendwie ganz schön.

Nur, wie der Vulkan hieß, weiß ich nicht mehr. Irgendwie ist der Name aus meinem Gedächtnis verschwunden.

Das passiert ja auch. Dieses unbemerkte Verschwinden, dieses leise Versickern. Zuerst ist alles wie immer, dann nur ein bisschen weniger, noch weniger und kaum hat man mal nicht genau hingesehen - ist es plötzlich weg. Und so verdunsten hinterrücks Privatsphäre, der Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit und die Möglichkeit, ungestört abzukoten, ohne dass das Mobiltelefon klingelt, langsam aus unserem Leben. Wir lassen die Telefongespräche ganzer Länder unwidersprochen mitschneiden, beantworten im Urlaub brav die Mails aus dem Büro und machen aus jedem Scheißhaus unsere persönliche Telefonzelle (dafür gibt es auf der Straße kaum noch Telefonzellen. Vielleicht, weil die Betreiber fürchten, dass da die Leute sonst reinkacken. Aus Gewohnheit. Ist aber nur eine Theorie.)

Und während so nach und nach persönliche Rechte verschwinden, tauchen dafür im Gegenzug überall in Europa immer mehr rechte Personen auf, die einem ständig was von schwammigen Begriffen wie Heimat, Volk und Blut erzählen wollen. Wobei sie sich gerne auf die "Geschichte" berufen. Und somit auf die Gesamtheit jener Personen, Stammesgruppen und Interessensverbände, die das Faktum eint, dass sie alle miteinander bereits verschwunden sind. Vielleicht nicht zu Unrecht.

Nur, wohin verschwindet das Verschwundene? Gibt es womöglich einen geheimen Platz auf dieser Welt, wo all das Verschwundene landet? Ein Schwundistan? Ja, den gibt es.

Und das wäre hier auch die Schlusspointe gewesen... Nur leider ist die irgendwie verschwunden.