Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Manchmal will man einfach nichts mehr sehen. Und nichts mehr hören. Nicht die angefressenen Gesichter von den Leuten, die dich anrempeln und nicht "Entschuldigung" sagen können. Nicht die zwei alten Damen im Kaffeehaus, die sich über die um sich greifende Korruption beschweren, um dann gleich darauf den Schwiegersohn zu loben, der das so geschickt gemacht hätte mit der Baugenehmigung, weil er doch den einen beim Magistrat kenne und der doch im Gegenzug ja auch . . .

Und auch nicht die drei Jugendlichen, die sich über die neuesten Waffengattungen bei dem Computerspiel "Age Of Slaughter" unterhalten und das mit Satzkonstruktionen, die den Begriff "Grammatik" nicht einmal vom Downloaden kennen. Es sind genau diese Tage, da möchtest du dem pissgelben BMW-Cabrio, aus dessen basslastigen Boxen ein Deppen-Rapper irgendetwas über "Bitches" und "Dollar-Bill" unwidersprochen verbreiten darf, Ritz-Grafiken mit den zehn Zentimeter hohen Absätzen der blondierten Begleitung am Beifahrersitz in seinem Lack hinterlassen. Und selbstverständlich will an so einem Tag auch dann das alte Mutterl im Supermarkt in der Schlange vor dir ihre Milch, das Katzenfutter und das kleinformatige Fachblatt für Paranoia und Fremdenhass in Münzen zahlen. Und zwar in den ganz kleinen,

die sie kaum noch sieht. Endlich draußen, schleppst du die Einkäufe nach Hause, da klingelt das Telefon, und beim Versuch, es aus der Tasche zu angeln, schicken sich drei Paradeiser und eine Grapefruit aus dem Sackerl an, ohne deine Hilfe die Straße zu überqueren. Das Telefon fällt Dir runter, der Kleinwagen, der die Tomaten in roten Gatsch verwandelt, nimmt dich auch fast mit, nur die Grapefruit hat auf der anderen Straßenseite einen neuen Freund gefunden, mit dem sie sofort innig zu kuscheln beginnt: ein Hundstrümmerl.

Die zwei biertrinkenden Arbeitslosen am Würstelstand stellen sich beim Vorübergehen als Fachleute für Migration heraus, da, wenn der eine sagt, man müsse "de ganzen Auslända olle außehaun", der andere einen interessanten Gegenvorschlag anzubringen hat: "Oda glei daschiassn."

Zuhause angekommen, hat sich das geliebte Wesen, mit dem du in einem Moment verwirrter Hoffnung beschlossen hast, den Versuch zu wagen, dein Leben wie auch deine Wohneinheit zu teilen, in eine feuerspeiende Agakröte verwandelt, die "sicher nicht angeredet" werden will, weil sie dem eigenen Zeitplan der Selbstausbeutung schwer hinterherhinkt.

Im Fernsehen darf dafür ein Mensch in teurem Anzug billige Propaganda machen und eine ganze Gesellschaft in Zielgruppen zerstückeln, die er sich demnächst häppchenweise einzuverleiben gedenkt. Und bevor du über der Frage "Wer hat eigentlich wann Bildung durch BWL ersetzt?" verrückt wirst, gehst du lieber wieder aus dem Haus.

Und so marschierst du mit angefressenem Gesicht durch die Stadt. Und dann rempelst du jemanden an und sagst nicht "Entschuldigung". Und dann ... bist du auch endlich einer von denen geworden, die dir das Leben zur Hölle machen.