Der Wiener an sich wird ja außerhalb seiner Stadt nicht bedingungslos geliebt. Zumindest nicht im übrigen Österreich, im Ausland schon wieder eher. Aber bereits in Niederösterreich weht einem als Bewohner der Haupt- und Residenzstadt oft ein raues Lüfterl entgegen, das mit zunehmender Entfernung zu einer steifen Brise anschwellen kann.
Ich erinnere mich gut an die Monate, die ich Ende der Siebziger Jahre in Innsbruck verbrachte. "Die Mundln" nannten sie uns damals; dafür ein nachträgliches Dankeschön an den Ausnahmekönner Karl Merkatz - und ein nach-nachträgliches an den genialen Ernstl Hinterberger. Zwar beherrschte ich zu Ende meiner Tiroler Zeit das krächzende "K" und kehlige "R" recht gut, auch das "bischt" und "hascht"; trotzdem konnte und wollte ich meine Herkunft nicht verleugnen, was mir wenig schmeichelhafte Kommentare eintrug. Dabei konnte ich sie gut verstehen, die Tiroler. Besonders wenn ich schifahrend auf dem Patscherkofel oder dem Hafelekar unterwegs war. Wer je eine Horde Wiener beim Anstellen am Lift oder, schlimmer, nach dem Genuss einiger Jagatees beobachtet hatte, konnte niemandem ein miserables Urteil übel nehmen.
Und heutzutage? Unseren diesjährigen Sommerurlaub verbrachten wir an einem kleinen Tiroler See. Wir wohnten in einem urigen Dorfgasthof, bereisten die Umgebung und standen in korrektem, bisweilen herzlichem Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Nie fiel das M-Wort, zumindest nicht in unserer Gegenwart.
Eines Tages besuchten wir das Städtchen Kufstein. Die Perle Tirols wird gerade neu gefasst; das Zentrum gleicht einer gigantischen Baustelle, Parkplätze sind rar. Wir stellten unseren Wagen hinter anderen, die ebenfalls die Fahrspur etwas verschmälerten, in einer Nebenstraße ab und brachen zur Besichtigung der Burg auf. Als wir zurückkamen, steckte in der Windschutzscheibe eines der wohlbekannten Zettelchen. Vor dem unsrigen trugen sämtliche Autos Kufsteiner Kennzeichen, dahinter detto. Keines hatte ein Strafmandat erhalten.
Ich suchte die nächstgelegene Wachstube auf, um die geforderten 20 Euro zu bezahlen. Obwohl mir bekannt war, dass in Tirol auch Fremden gegenüber das "Du" gepflogen wird, war ich auf das "Griass di" des wohlbeleibten Uniformierten nicht vorbereitet.
"Griass di", erwiderte ich tapfer und erbot mich, meine Schuld zu begleichen. "Des geht bei mir net, des waren die vom privaten Wachdienst", beschied mir der Polizist. Meine Frage, ob das Organmandat in irgendeinem Zusammenhang mit dem Wiener Kennzeichen stehe, beantwortete er treuherzig mit "des kann i ma net vorstellen". Wir schieden in gutem Einvernehmen voneinander, und ich bezahlte den Betrag per Banküberweisung. Der Versicherung des Beamten unser Nummernschild betreffend schenkte ich Glauben. Man soll schließlich darauf vertrauen, dass Dinge sich zum Besseren wenden können - auch die Beziehungen zwischen Tirolern und Wienern.
Hans-Paul Nosko ist Journalist und lebt in Wien.