Angeblich ist das, was die Österreicher von den Deutschen trennt, ihre gemeinsame Sprache. Ob das Bonmot von Karl Kraus stammt oder nicht, fest steht: Bei uns sind "Schorle" und "Plätzchen" eher rar, beim großen Nachbarn gibt es keine "Zünder" oder "Seideln". Und dann gibt es hierzulande noch die absoluten No-Gos wie "Brötchen" oder "Tüte".

Hans-Paul Nosko, geboren 1957, lebt als Journalist und Glossist in Wien. - © Robert Newald
Hans-Paul Nosko, geboren 1957, lebt als Journalist und Glossist in Wien. - © Robert Newald

Als ich im Freundeskreis kundtat, dass ich im November für ein paar Tage an die Nordseeküste fahre, stieß ich größtenteils auf Unverständnis. Wieso gerade dorthin, ob das nicht die falsche Jahreszeit sei - und ob man sich mit den Einheimischen überhaupt verständigen könne. Zum ersten Einwand: Man muss es mögen. Fünf Grad Celsius, während es in Wien knapp zwanzig waren, dichter Nebel, Saisonende und daher nichts los. Und die Sprache? Wir verstanden einander, die Nordfriesen und ich. Größtenteils.

Als ich auf der Insel Amrum eines der wenigen noch geöffneten Lokale betrat, fragte mich die Wirtin, was ich denn bekäme. Einen Kaffee, bitteschön. Ob ich den Kaffee in einem Pott wolle. Pott? Topf? Da war sie urplötzlich, die Sprachbarriere. Hoch wie ein Deich. Das wisse ich nicht, antwortete ich wahrheitsgemäß und fügte mit meinem nettesten Lächeln hinzu, ich sei aus Wien und dort würden wir Kaffee nicht aus Pötten trinken. Zumindest die Mehrzahlform des ungewohnten Wortes war mir eingefallen. "Und woraus dann?", fragte mich die Wirtin ungerührt. "Aus Häferln", antwortete ich. Das war natürlich grob unfair, mit so einem Ausdruck auf 55 Grad nördlicher Breite aufzufahren; aber die gute Frau hatte ohnedies bereits erkannt, dass unsere Konversation sich zu einem Spiel entwickelt hatte. Also schmunzelte sie und hob ein übergroßes Caffè-Latte-Glas hoch: "Das is’n Pott." Alles klar. Der Kaffee schmeckte dann auch recht gut.

Selbstverständlich bediente ich mich während der Reise bereitwillig der ortsüblichen Ausdrücke, soweit ich sie beherrschte. Ich grüßte mit "Moin, moin", bestellte Rote Beete und trank Apfelschorle. Nur ein einziges Mal kam mir die Umstellung doch recht hart an. Es war in einem Kunstmuseum, wo ich nach dem Besuch der Ausstellung einiges kaufte: Katalog, Plakate, Postkarten sowie einen Topf mit einem kleinen Hagebuttenstrauch aus der angeschlossenen Gärtnerei. Nach dem Bezahlen stellte ich fest, dass ich das alles ohne Behältnis nicht besonders weit würde tragen können. Und so warf ich meine letzten Hemmungen über Bord und fragte die Dame an der Kassa tapfer: "Könnte ich bitte eine Tüte bekommen?"

Ich traute meinen Ohren zwar kaum, aber im Grunde war es ganz einfach. Tüte eben. Der Trick ist wahrscheinlich, sich einzureden: Anderes Land bedeutet Fremdsprache. In Frankreich reden sie ja auch nicht Österreichisch. Beim nächsten Mal probier ich "Brötchen". Egal, was Karl Kraus oder sonst wer dazu sagt.