
In der Stichwahl müssen beide Präsidentschaftskandidaten einen schwierigen Spagat zustande bringen: Sie müssen ihre Position sowohl auf eine breitere Basis stellen, also mehr Leute hinter sich versammeln, als auch die Konturen, die Abgrenzungen schärfen. Ihre erste Konfrontation im Radio hat gezeigt: Hofer ist für diese Übung in der bequemeren Lage. Nicht nur wegen seines Stimmenvorsprungs, sondern auch von der politischen Anordnung her. Denn Hofers Abgrenzung ist sowohl klar als auch trügerisch. Die Ablehnung von Fremden erlaubt zweierlei: Sie erlaubt einerseits ein sehr breites "Wir" zu konstruieren, in dem sich alle versammeln können, die eben keine "Fremden" sind. Und sie erlaubt andererseits so zu tun, als ob diese Abgrenzung eine äußere Spaltung wäre und keine innere. Denn sie verlegt die Gegnerschaft an den Rand, an die Grenze dessen, was sich solcherart begrenzt bequem als "Wir", als "Österreicher" vereinen lässt. Eine vehemente Angrenzung, die als Verbindendes auftritt.
Das so versammelte Volk soll dann gleich als politischer Akteur eingesetzt werden - in dem, was so verlockend "direkte Demokratie" heißt. Als ob das Volk einen Willen hätte, der sich direkt äußern könnte. Wieso tritt bei einer Diskussion, wo Herr Hofer permanent das Gespenst des Plebiszits als wahre Demokratie an die Wand malt, keiner auf und sagt, was für ein ambivalentes Schwert das ist? Wo direkte Demokratie draufsteht, ist nicht unbedingt mehr Demokratie drin. Wieso sagt keiner, dass dies das Tor einer Als-Ob Demokratie öffnet, wo das Volk schnell zum Akklamationsorgan werden kann?
Und wenn der Herr Hofer, ganz der nette Kornblumenträger von nebenan - im Unterschied zu seinem daueraggressiven Mentor - ankündigt, er würde die Regierung entlassen, "wenn nichts mehr weitergeht" - wieso fragt dann keiner das Naheliegende: Wann geht denn nichts mehr weiter? Und vor allem: Wer entscheidet darüber? Wieso geht der Moderator da einfach zur nächsten Frage über?
Van der Bellen scheut sich, hier Kontra zu geben. Wohl auch, weil er in der unbequemen Lage ist, eine Mehrheit finden zu müssen, deren Abgrenzung sich nicht als Außengrenze verkleiden kann. Die Abgrenzung gegen rechts lässt sich nicht camouflieren. Sie ist eine, die durch die Gesellschaft hindurch verläuft - und gleichzeitig muss Van der Bellen mit dieser Abgrenzung ein breites Wir bilden. Das ist politisch und emotional ein schwieriger Balanceakt. Er muss das Verbindende herstellen, verkörpern und gleichzeitig eine entschiedene Trennlinie ziehen. Er muss zugleich Kampfleidenschaften und verbindende Gefühle wecken. Das bremst die Aggressionen, nicht aber den entschiedenen Einspruch.
Es ist unfassbar, wie sehr man ihn dabei alleine lässt. SPÖ, ÖVP, Frau Griss - sie alle wollen keine Wahlempfehlung abgeben. Die Rede vom "mündigen Bürger", die sie dabei wiederkäuen, ist nicht nur feig, sondern eine völlige Fehleinschätzung ihrer eigenen Position: als ob ihre Empfehlung bei irgendjemandem noch als Befehl ankommen würde. Als ob ihre Enthaltung eine demokratische Tugend wäre - und nicht politische Feigheit. Bei manchen, das Letzte, das ihnen noch bleibt.