Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. - © Daniel Novotny
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. - © Daniel Novotny

"Neue Aufklärung" - ein Thema wie ein Schlachtruf. Damit tritt das Forum Alpbach in diesem Jahr an. Interessant ist, wie diese "neue Aufklärung" beschrieben wird: als mutige Ideen, radikale neue Organisationsformen, Utopien mit Sprengkraft. Es geht also um Modelle, um ein Denken, das die Welt verändert, Neues eröffnet und Alternativen zum Bestehenden bietet. Allerdings, was mutig und neu ist, was Sprengkraft hat und wer ein Pionier ist - all das lässt sich erst hinterher sagen. Es ist also ein retrospektiver Blick, eine nachträgliche Einschätzung, die hier vorausgesetzt wird. Ein Blick, der von der alten Aufklärung geprägt ist.

Denn diese, die historische Aufklärung, war ein Denken, das sich selbst als Ermächtigungsprojekt verstanden hat: Dem aufgeklärten Subjekt sollte, eben weil es mündig und autonom war, eine Autorität des Sprechens garantiert werden. Seinem Einspruch, seiner Kritik wurde eine Autorität erkämpft und schließlich zugebilligt, die sich von keinem Amt, von keiner gesellschaftlichen Position herleitete, sondern nur an die Person geknüpft war. Auch wenn heute alle die Aufklärung wie eine Beschwörungsformel ständig auf den Lippen tragen, so ist diese Ermächtigung des denkenden Subjekts doch von vielen Seiten bedroht. Insofern ist der Ruf nach einer neuen Aufklärung nachvollziehbar. Offen ist dabei, wie diese Erneuerung aussehen soll. Oder anders gefragt: Um welches neue Subjekt geht es da?

Das alte Aufklärungssubjekt hat ja viele Kränkungen erfahren. Erst wurde es von Marx als handelndes Individuum aus dem Zentrum der Geschichte vertrieben. Dann wurde sein eigenes Zentrum, seine Autonomie von Freud infrage gestellt. Und schließlich wurde der Aufklärung von Adorno noch das Umschlagen in die blinde Herrschaft des Faschismus attestiert.

Das Subjekt einer neuen Aufklärung - wie auch immer dieses aussehen mag - muss all diese Lektionen gelernt haben. Es muss über sich und die Fallstricke von Autonomie und Rationalität aufgeklärt sein. Eine neue Aufklärung kann nur eine Trotzdem-Aufklärung sein.

Als Subjekt- und Bildungsprojekt muss sie diese Geschichte einbeziehen. Wenn das Forum Alpbach dieses Subjekt etwa als immun gegen Radikalisierungen skizziert, dann weiß das über sich selbst aufgeklärte Subjekt: Wissen ist da kein ausreichender Schutz. Dann weiß es, dass Emotionen und Irrationalität nicht außerhalb dieser Aufklärung stehen können. Wenn es um politisches Handeln, um Partizipation geht, dann muss dieses Individuum nicht nur gegen äußere Autoritäten gestärkt werden, sondern ebenso gegen sich selbst. Gegen sich als hedonistischer Konsument. Dasselbe gilt auch für das Problem des ökologischen, des nachhaltigen Handelns. All das macht klar: Das Projekt einer neuen Aufklärung ist das Projekt einer geistigen Erneuerung, einer Verhaltensänderung. Nur als solches kann es zu einer neuen Ermächtigung werden.

Wobei sich da noch die Frage stellt, wer hier eigentlich adressiert, wer hier erneuert und ermächtigt werden soll: Eine Elite? Eine Avantgarde? Eine gesamtgesellschaftliche Bewegung? Geht es um Aufklärer oder ums Aufgeklärt-Werden? Um Vorherrschaft oder um Ermächtigung?

Denkwerkstatt Forum Alpbach findet von 17.August bis 3.September statt.