Hermann Schlösser ist Autor, Essayist und Redakteur der Beilage "extra"
Hermann Schlösser ist Autor, Essayist und Redakteur der Beilage "extra"

In Graz ging es am vergangenen Wochenende hoch her. Auf den schönen Plätzen und Straßen der Innenstadt spielten Akkordeons, Geigen und Blasmusiken; Frauenchöre sangen glockenhelle Weisen; 250 Verkaufsstände boten steirische Spezialitäten an - Schilcher, Kernöl und so weiter -, und überall wurde gegessen und getrunken, gelacht und getanzt.

Dieses Großereignis, das heuer zum 15. Mal in der steirischen Hauptstadt stattgefunden hat, heißt "Aufsteirern". Das Kunstwort bezeichnet genau das, was in Graz geschieht: Das Land steirert auf, d.h. es feiert sich mit großem Aufwand selbst und präsentiert seine folkloristischen und kulinarischen Eigenheiten. Rund 100.000 Besucherinnen und Besucher haben heuer an diesem dreitägigen Aufmarsch teilgenommen.

Markus Lientscher, der Organisator des Wochenendes, sprach davon, dass beim "Aufsteirern" "eine bodenständige Volkskultur" in Erscheinung trete. Und auf einem Schild in der Innenstadt stand gleichsam als Motto der Veranstaltung zu lesen: "Steirer sam’ma, Steirer bleib’ma".

Viele Menschen, die durch die Grazer Straßen spazierten, waren in Trachten gekleidet - wie sich das bei einem regionalen Fest fast von selbst versteht. Denn die Tracht scheint doch das Gewand zu sein, in dem man am sichersten bleiben kann, was man ist. Bei allen Unterschieden in Farbe, Schnitt und Material haben alle Trachten dieser Erde eines gemeinsam: Sie sind von Moden unabhängig und können von der Großmutter genauso getragen werden wie von der Enkelin - sofern sich beide ihrer Kleiderordnung unterwerfen.

Beim "Aufsteirern" in Graz feiern sich Land & Stadt mit großem Aufwand selbst . . . - © Steiermark Tourismus/Gery Wolf
Beim "Aufsteirern" in Graz feiern sich Land & Stadt mit großem Aufwand selbst . . . - © Steiermark Tourismus/Gery Wolf

Ich war zufällig an diesem Wochenende in Graz und hatte weder Haferlschuh noch Gamsbarthut im Gepäck. Also spazierte ich in gesamteuropäischem EinheitsZivil durch das aufgesteirerte Volksgetümmel und beobachtete das Geschehen. Dabei fiel mir zum Beispiel auf, dass auf mehreren Plakaten eine "Volxmusik on Air" angekündigt wurde, die offenbar etwas anderes sein will als die altgewohnte "Volksmusik".

Ebenso stießen strenge und weniger strenge Auslegungen der Trachtenkultur aufeinander. Einerseits gab es durchaus noch die biederen, sauberen, adretten langen Kleider, Schürzen, Lederhosen und Jacken, die man sich traditionellerweise als Tracht vorstellt. Andererseits präsentierten "Fashion Labels" unter dem Titel "Die Pracht der Tracht" Designer-Dirndls und eng geschnittene Lederhosen, die wie "Bermuda-Krachlederne" aussehen und dieangebliche Zeitlosigkeit der Tracht sehr in Frage stellen.

Die Jugend schließlich mischte sorglos Trachten-Elemente mit ganz anderen Einflüssen. Junge Mädchen zeigten sich in Trachten-Miniröcken oder gaben sich sexy in knappen Leder-Hot Pants - passend dazu die Designer-Sonnenbrillen. Manche Burschen trugen Baseballkappen zum Traditionsgewand, und einer, der überdies noch zwei Big Macs in Händen hielt, hatte unter dem Janker ein buntes T-Shirt an und seine Sneakers vertrugen sich nicht ganz mit der ledernen Bundhose, die er ohne Strümpfe trug.