
Im heurigen Frühjahr ist Paul Austers legendäres "Red Notebook" aus dem Jahre 1995 in bibliophiler Ausstattung (wieder-)aufgelegt worden. Darin versammelt der New Yorker Autor "wahre Geschichten", in denen allesamt der Zufall eine so unglaubliche wie entscheidende Rolle spielt. (Demnächst an anderer Stelle im "extra" mehr darüber.)
Es handelt sich dabei um jene Art von Zufällen, die der Psychoanalytiker C. G. Jung Synchronizitäten, der Biologe Paul Kammerer serielle - und der Schriftsteller Arthur Koestler koordinierte Ereignisse genannt haben. Wie auch immer bezeichnet, fantastisch muten diese Geschichten, in denen sich seltsam geisterhafte Zusammenhänge zu zeigen scheinen, immerzu an. Kürzlich habe ich selbst eine solche erlebt.

Es war nach dem Konzert des Quartetts The Erlkings, das mit seinen auf Englisch gesungenen und in kurioser Instrumentierung (u.a. mit Tuba und Vibraphon) wiedergegebenen Schubert-Liedern im Wiener Konzerthaus aufgetreten war. Der Cellist erzählte mir bei einem Umtrunk von einem Startup, für welches er tätig ist. Es nennt sich Music Traveler - und erlaubt Musikern via App (oder auf der Homepage des Unternehmens) passende Proberäume zu finden. So wird etwa in Wien darauf hingewiesen, in welchen Räumlichkeiten Klaviere zur Verfügung stehen. Für Pianisten ein wichtiger Hinweis.
Zu den (finanziellen) Unterstützern der ersten Stunden zählen, wie mir Ivan, der Cellist, erzählte, auch Prominente, u.a. der Schauspieler John Malkovich und der Sänger und Pianoman Billy Joel. Zu jenem merkte ich an, dass der ja einen ganz speziellen Bezug zu Wien habe (der Heimatstadt seines Vaters), was auch im Song "Vienna" (1977) zum Ausdruck komme. Ja ja, sagte Ivan, Billy Joel sei ein ganz wichtiger Förderer.
Als wir uns danach, es war gegen Mitternacht, am Schwarzenbergplatz voneinander verabschiedeten, ging ich anschließend die Gußhausstraße entlang. Nach vielleicht zweihundert Metern sah ich auf dem ansonst menschenleeren Gehsteig einen jungen Mann, dem ich zügig näher kam. Als ich zu ihm aufschloss, hörte ich Musik, die - so viel war rasch klar - nur aus dem Handy stammen konnte, das er in der Hand hielt. Zuerst ärgerte ich mich über diese Rücksichtslosigkeit, hier um diese Zeit auf diese Weise laut Musik zu spielen. Doch als ich ganz nahe war, schlug mein Ärger in pures Entzücken um. Denn was ertönte aus dem Mobilgerät des jungen Mannes, wie ich beim Vorbeigehen erkannte!? Es war unverkennbar der Song "Pianoman" von - Billy Joel!
Ich bekam sogleich Gänsehaut, denn es war schon eine unglaubliche Koinzidenz, die mir da zur Geisterstunde buchstäblich zufiel: Dass von den Abermillionen möglichen Liedern und Interpreten ausgerechnet dieses/dieser hier erklang. Da wischt man alle Wahrscheinlichkeitstheorien, die derlei Zufälle in kühler Rechnungsart entzaubern, beiseite und glaubt kurz an einen himmlischen Strippenzieher oder besser: Pianisten, der solch eine "Musik des Zufalls" (auch ein Paul-Auster-Buchtitel) anschlägt.