Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Zuerst war das Bild. Noch vor den Beratungen beim Treffen der EU-Innenminister traten Kickl, Seehofer und Salvini zu einem trilateralen Bild vor die Kameras - die Hände in Musketierart vereint. Aber die Bildsprache ist verräterisch. Denn sie macht eine ganze Reihe von Paradoxien deutlich.

Etwa die Vorstellung einer Kooperation von Nationalisten. Aber diese "Kooperation der Tätigen" funktioniert gerade nicht im d’Artagnan Modus: Einer für alle und alle für einen. Es ist dies vielmehr eine Verbindung von Spaltern - ein Widerspruch in sich. Ebenso wie eine europäische Politik, die zunehmend von europaskeptischen Politikern - um das Mindeste zu sagen - gemacht wird. Es ist das Bild eines Europagipfels der Europafeinde. Nach derselben Logik haben wir heute auch Migrationspolitik von offenen Fremdenfeinden. Das ist mindestens ebenso paradox wie der Umstand,
dass diese falschen Musketiere alle drei Innenminister sind - die Sicherheit also in Händen von Rechten aller Schattierungen liegt. Womit auch der Verfassungsschutz durch jene geleistet wird, die sich selbst nicht unbedingt als Verfassungsfreunde sehen.

Als sei dies der Paradoxien nicht genug, antwortet auch die Gegenseite mit ebensolchen. Etwa mit dem Argument, man befördere den Rechtsradikalismus, wenn man mehr "Fremde" aufnimmt als die Bevölkerung akzeptiert. Man kennt diese Widersprüche: Rechte Politik, um Rechte zu verhindern. Dieser alte Hut wird heute mit einigen neuen nicht weniger paradoxen Variationen getragen:
Etwa die Forderung, die Grenzen
zu schließen, um ein offenes Europa
zu garantieren. Und während man sich immer weiter in Paradoxien - also in unauflösbaren Widersprüchen - verliert. Während man über mehr oder weniger Flüchtlinge nachdenkt, übersieht man völlig, dass die Grundlage des Problems nicht quantitativ ist. Es geht nicht um die Quantität der Flüchtlinge. Denn wenn es um die reine Zahl ginge, dann hätten wir heute keine "Migrationskrise". 2018 kamen monatlich weniger als 1000 Flüchtlinge nach Österreich. Aber es geht nicht um die Quantität, sondern um das Umschlagen von Quantität in Qualität: Die Qualität des "Zuviel" hat kein objektives Maß. Es ist ein subjektives Gefühl. Die nationalistischen Musketiere agieren mit Blick auf ebendieses.

Die Frage aber ist: Kann man mit einer Re-Quantifizierung, kann man mit einer "gradualistischen" Politik, die die Probleme klein arbeitet, darauf antworten? Tatsächlich greift das. Bei Merkel gegen Seehofer. Bei Junker, der Kickls Wunsch - keine Asylanträge mehr in Europa - einfach streicht. Ja, es greift. Aber es greift immer weniger.

Weil der Versuch solch eines - auch nicht unparadoxen - "humanistischen Pragmatismus" (Andreas Fanizadeh) auf Maximalforderungen trifft wie: Die müssen alle weg. Kann man der Kampfrhetorik eines Salvinis, seinen Feinderklärungen an Flüchtlinge, Romas und die EU - kann man dem mit Gradualismus begegnen?

In einer Situation, wo die alte Konsenskultur immer mehr durch eine Politik der Eskalation abgelöst wird - in einem solchen politischen Klimawandel muss die Antwort auf diese Frage wohl lauten: Noch mag es reichen. Aber wie lange noch?