Andreas Wirthensohn, geboren 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.
Andreas Wirthensohn, geboren 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.

Sommerzeit ist bekanntlich Schwimmbadzeit. Klar, manche fahren an die örtlichen Flüsse und Seen (wie der Berliner) oder gönnen sich mehrmals am Tag einen Sprung in die laue Alte Donau (wie der gemeine Wiener). Aber der eigentliche Schwimm- und Plantschort sind noch immer die öffentlichen Badeanstalten. Sie erfreuen freilich nicht nur mit ihrem kühlen Nass, sondern sind auch die großen Gleichmacher in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spaltungen. Jeder zahlt den gleichen Eintritt, jeder muss ins gleiche Becken, und in Badekleidung sind sowieso alle irgendwie gleich.

Klar, die Rentnerin (die jeden Tag stundenlang hier rumliegt) ist brauner als die blässliche Büromaus (die nur zweimal die Woche am Abend zwecks Rückenstärkung ihre Bahnen zieht); der mittelalte Herr dort drüben am Tisch mit dem Weißbier trägt eine deutlich üppigere Murmel vor sich her als der junge Papa, der an der Rutsche seine Kinder in Empfang nimmt; und so manches Tattoo ist tatsächlich gar nicht so furchterregend wie das meiste, was man an Hautverunstaltungen sonst so ertragen muss.

Ob Arbeitsloser oder Fernsehintendant, Schauspielerin oder türkische Mutti, pubertierende Jungs und kichernde Mädels - sie alle begegnen mir in meinem Sommerbad, auf der Wiese, am Kiosk oder eben im Becken. Neulich schwamm ich sogar neben ein paar Burkini-Trägerinnen, die zu einer Schulklasse gehörten und sich mit den Schwimmstilen noch etwas schwer taten. Die ältere Dame links neben mir regte sich sogleich furchtbar auf und zischte etwas von "Islamisierung" und "Untergang des Abendlands". Auf meine Frage, ob ihr die Frau dort drüben am Beckenrand lieber sei, die sich des Oberteils entledigt und die Bikinihose lasziv in die Po-Rille geklemmt hatte, um die üppigen Backen ihres Hinterns auch nahtlos braun zu bekommen, wusste sie allerdings auch keine so rechte Antwort zu geben.

Nicht alle Anblicke sind leicht zu ertragen in diesem sommersatten Ambiente, aber als Einübung in Sachen Toleranz ist das Schwimmbad unübertrefflich. So saßen jüngst auf einer Bank zwei junge Männer nebeneinander, die sich andernorts vermutlich nicht so friedlich begegnet wären. Der eine trug am Herzen ein blau schimmerndes Tattoo des glücklosen Arbeitervereins TSV 1860 München, während die kraftvolle Wade des anderen ein rotes "Mia san mia" zierte, als Ausdruck seiner Liebe zum großen Rivalen (ach was: Erzfeind!), dem erfolgsverwöhnten FC Bayern. Sie kamen kurz ins Gespräch, lachten mehrmals auf und gingen irgendwann wieder ihrer Wege.

Ich tauchte ab und glaubte für einen Moment, dass das Schwimmbad vielleicht doch die beste aller Welten ist.