Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.
Severin Groebner ist Kabarettist, Autor und Gründungsmitglied der "Letzten Wiener Lesebühne". Sein neues Buch mit zahlreichen Kolumnen (unter anderem auch aus der "Wiener Zeitung") heißt "Lexikon der Nichtigkeiten" und ist im Satyr-Verlag (Berlin) erschienen.

Am 1. November ist bekanntlich Allerheiligen und deswegen ist der gute Katholik (Frauen sind hier klerikal selbstverständlich mitgemeint; Kinder auch) in der Kirche und gedenkt der Heiligen; nicht nur eines oder einer, sondern gleich aller. Logisch, daher der Name. Allerheiligen ist also das All-you-can-eat-Buffet der Heiligenverehrung. Man nimmt mit, was geht.

Tags drauf wird es persönlicher. Da ist Allerseelen, und man gedenkt der Toten. Also nicht der Toten im Mittelmeer, im Jemen, im Straßenverkehr oder der Opfer des Tabakkonsums. Nein, man gedenkt nur jener Menschen, die man auch persönlich gekannt hat. Das heißt dann "Nächstenliebe". Also rennt man mit der Familie auf den Friedhof und gedenkt der verblichenen Mitzi-Tant oder des verstorbenen Pepi-Onkels (der zwar eine rechte Drecksau war, aber das vergisst man alles). Und man erinnert sich natürlich an das wichtigste von dannen gegangene Familienmitglied: den Hund. Und zwar voller Zärtlichkeit und eingedenk der besten Eigenschaften des Verschiedenen.

Ja, so ist das mit der Erinnerung: Der lebendige Mensch ist gerne einmal eine üble Sau, ein hinterfotziger Charakter, also wirklich ein durchtriebenes G’frastsackl, aber kaum hat er das Zeitliche gesegnet, ist derselbe Kerl ein so ein guter Haberer, das man glaubt, dem muss man einen Hinkelstein auf den Sargdeckel legen, da er sonst noch mit seinen Engelsflügerln davonflattern tät’.

Und dann kommt der 3. November. Wessen soll man aber am dritten November gedenken? Nichts? Aber warum denn? Jetzt ist man doch so schön in der Gedächtnisarbeit drinnen, warum jetzt aufhören?

Wie wäre es, wenn man an diesem Tag nach all den Heiligen und all den Seeligen an all die Dinge denkt, die von uns gegangen sind? Am Feiertag "Allerdings". Gedenket also des Wählscheibentelefons. Erinnert euch an Filme. Also jene, die man früher in die Kamera eingelegt hat und erst noch aufziehen musste. Erhebt eure hehren Gedanken und schickt sie in Richtung des CD-Players, des Notizblocks und des Lexikons und all der anderen Habseligkeiten, die jetzt in unserem Smartphone verbaut sind.

Das Ritual des Tages ist einfach, berührend, und man muss dazu nicht das Haus verlassen: Man sitzt zuhause vor dem Mülleimer, umarmt ihn, geht in sich, bettet nun seine Stirn auf den Deckel und sagt eingedenk all der vergangenen Gegenstände: "Danke, dass ich dich gebrauchen durfte. Mach es gut, wo immer du jetzt auch bist. Ob in der Recyclingsanlage, auf einer illegalen Deponie in Süditalien oder schon als Mikroplastik im Meer. Allerdings, amen." Und dann verneigt man sich dreimal in Richtung der örtlichen Müllverbrennungsanlage.

Und das Schöne an diesem Feiertag ist, dass man die Liste der Gedenkdinge beliebig erweitern kann, weil ja dauernd etwas von uns geht. Vielleicht denken wir ja bald schon wehmütig an andere Dinge, die uns heute noch selbstverständlich vorkommen: Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, die Abwesenheit von Bürgerwehren, internationale Abkommen, Demokratie . . . ach, es gibt so vieles, was zurzeit in den Müll wandert. Das ist eben der Lauf der Dinge.