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Die Harmonien vom Handelskai

Von Christoph Irrgeher

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Das Kürzel ÖBB steht bekanntlich für Österreichische Bundesbahnen. Wer die Schnellbahn am Handelskai besteigt, könnte allerdings zu einem anderen Schluss gelangen - dass ÖBB nämlich Öffentliche Beschallungsbehörde bedeutet. Der Anlass: Seit Juli erklingt an den Bahnsteigen in der Brigittenau klassische Musik. Diese, so die Begründung, beruhige die Menschen.

Nun ist die Förderung eines gedeihlichen Miteinanders natürlich zu begrüßen, und es verdient Lob, wenn ein Unternehmen sein Augenmerk der Volksbildung widmet. Dennoch ist fraglich, ob die Harmonien vom Handelskai eine entsprechende Wirkung zeitigen. Kann die Götterarie eines Giacomo Puccini den Grant beim morgendlichen Türengedränge begütigen? Vermag die Anmut einer Bach-Fuge den Zorn zweier Streithähne in stumme Ergriffenheit zu verwandeln?

Theoretisch ja. Tatsächlich lässt sich aber etwas anderes beobachten. Dass die Kulturklänge am Kai verloren und deplatziert wirken. Zu laut, um’s zu überhören, zu leise oft, um’s zu erkennen, plätschern die Stücke aus Lautsprechern und werden von den Wartenden ungefähr so geflissentlich ignoriert wie der Darmwind eines Sitznachbarn. Oder freundlicher gesagt: Es mangelt an Euphorie. Das liegt aber wohl nicht nur daran, dass viele Fahrgäste wenig mit der klassischen Musikschiene anfangen können. Es gibt unter ihnen auch Menschen, die sich nach einem raren Gut sehnen: nach Ruhe in Zeiten der Dauerberieselung.