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Der Schwarzmaler als Hellseher

Von Christoph Irrgeher

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Was haben Joanne K. Rowling und Michel Houellebecq gemeinsam? Denselben Leserkreis wohl nicht, und schon gar nicht das gleiche Schimpfwortarsenal. Doch wenn die Schöpferin des goldigen Harry Potter und der Verfasser galliger Endzeitschriften wie "Elementarteilchen" einen programmierten Bestseller veröffentlichen, gieren die Journalisten nur so nach Druckfahnen, um eine Blitzkritik zu liefern, am besten noch vor der Roman-Veröffentlichung. Ein Rezensent verteidigte diesen Bruch der guten Sitten einmal mit der Behauptung, er habe Houellebecqs "Möglichkeit einer Insel" auf einer Parkbank gefunden.

Nun liefert der massentauglichste Misanthrop unter den Literaten, der nichts mehr hasst als die 68er, einen neuen Streich: "Serotonin" erscheint am 7. Jänner in Österreich und sieht den Stern des Autors auf dem Zenit: Praktisch alle Medien Frankreichs haben bereits im Vorfeld Kritiken veröffentlicht, weitgehend voll des Lobs. Houellebecq, der diesmal die Misere der französischen Bauern aufs Korn nimmt, habe seinen besten Roman geliefert, und: Er habe mit den Tumulten in "Serotonin" den Aufstand der Gelbwesten vorausgesehen. Dies freilich ist die Crux seines Ruhms: Seit Houellebecq in "Plattform" islamistischen Terror vorwegnahm, werden von dem Schwarzmaler regelmäßig Hellseherkünste erwartet - ein Bild, das dem Pariser Provokateur nicht gerecht wird. Andererseits: Dem Erfolg seines neuen Buchs (mehr darüber Anfang nächster Woche) dürfte dies keinen Abbruch tun. Und Houellebecq nur ein bitteres Lächeln abringen.