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Die Deutschen niemals abschreiben

Von Christian Mayr

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WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Wer geglaubt hätte, der Tiefpunkt der deutschen Nationalmannschaft wäre mit dem WM-Desaster von 2018 schon erreicht worden, wurde am Dienstagabend eines Besseren belehrt. Wobei, als Titelverteidiger und -favorit ins Turnier zu gehen und dann als Gruppenletzter nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea heimzufahren, ist eigentlich nicht zu über- respektive unterbieten. Das Bestürzende am 0:6-Debakel gegen Spanien in Sevilla war ja nicht die Niederlage per se und auch nicht unbedingt deren Höhe, sondern es war die Art und Weise, wie die Mannschaft sich lust- und kampflos dem Schicksal ergeben hat. Die DFB-Elf zeichnete zumindest früher immer aus, dass bei spielerischer Unterlegenheit dann wenigstens Einstellung, Kampfgeist und Wille 100-prozentig da sind - die sprichwörtlichen deutschen Tugenden halt. Daher wird sich auch Langzeit-Coach Jogi Löw, der sich eigentlich mit seiner nach der WM umgebauten und verjüngten Elf auf dem richtigen Weg wähnte, fragen müssen, ob das wirklich seine Elf ist, mit der er in die Europameisterschaft gehen will. (Wiewohl naturgemäß auch bereits die Frage gestellt wird, ob denn Löw wirklich noch der Richtige ist.)

Der große Vorteil am ganzen deutschen Desaster ist freilich, dass dieses 0:6 beim nächsten Länderspiel - und das ist, wenn überhaupt, erst Ende März - vergessen sein wird. Ein gewaltiger Denkzettel, der aber in einer Phase passiert, wo noch genügend Zeit ist, gegenzusteuern und sich spätestens bis zur EM im Juni 2021 neu zu finden und neu zu formieren. Da die Akteure jeder für sich internationale Hochkaräter sind, ist nämlich eine länger währende Krise wie vor gut 20 Jahren, als es im deutschen Fußball schlichtweg an Klassespielern mangelte, nicht gegeben. Wer die Deutschen also abschreiben sollte, wird auch in dieser Hinsicht gewiss eines Besseren belehrt werden.