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Wettbewerb der Dünnhäutigkeit

Von Christoph Irrgeher

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"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Natürlich waren die Menschen früher auch nicht ehrlicher. Seit dem Aufkommen eines überspannten Moralismus in den Sozialen Medien tarnen sich Machtansprüche aber besonders perfide. Da attackiert man Gegner mit dem Verweis auf persönliche Demütigungsgefühle, die sich nicht objektiv widerlegen lassen, aber im Netz rabiate Sympathisanten auf den Plan rufen. Die spucken und schlagen im Namen des Guten dann so lange auf einen vermeintlichen Unhold ein, bis der vor ihnen auf den Knien rutscht.

Manche Firmen beugen solchen Szenen schon mit vorauseilendem Gehorsam vor - und sind stolz drauf. So gab Unilever bekannt, das Wort "normal" nicht mehr zur Beschreibung seiner Pflegeprodukte zu benützen. Ziel: Es solle sich keiner ausgeschlossen fühlen.

Löblich zwar, dass der Konzern zugleich verspricht, in seinen Bildern auf die nachträgliche Bearbeitung von Körperformen, Proportionen oder Hautfarben zu verzichten. Das Wort "normal" zu tilgen, zeugt aber von einer grotesken Dünnhäutigkeit. Und es wirft praktische Probleme auf. Welche Creme kaufen, wenn der eigene Teint weder abnormal trocken noch speziell fettig ist? Welches Shampoo, wenn man sich zwar nicht in Bausch und Bogen, wohl aber an seinem Haarschopf für durchschnittlich erachtet? Und wie weit ist eine "Unternehmensphilosophie" zu gehen bereit, der jeder Empörungsschrei gleich Befehl ist? Wer weiß: Vielleicht stellt Unilever ja eines Tages seine gesamte Shampoo-Produktion ein - weil sich einige Kahlköpfe davon grundsätzlich diskriminiert fühlen.