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Warum der EM-Erfolg wirklich historisch ist

Von Christian Mayr

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Als Fan der Nationalmannschaft war man notorisch leidgeprüft.


WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Man muss schon mindestens 45 Jahre alt sein, um sich in irgendeiner Weise persönlich an die WM 1982 in Spanien erinnern zu können. Als es eben einer österreichischen Nationalmannschaft letztmals gelungen war, die Gruppenphase bei einem Großereignis zu überstehen. Bis man es nun am 21. Juni 2021 wieder geschafft hat. Im deutschen Fernsehen wurde sogar noch weiter zurückgeblickt - nämlich ins Jahr 1954, weil Österreich damals letztmals in eine echte K.o.-Phase gekommen war.

Dieser 67 Jahre weite Rückzieher unserer deutschen Freunde war wohl hoffentlich dem eigenen WM-Titel ("Wunder von Bern"), denn dem deutsch-österreichischen Nichtangriffspakt ("Schande von Gijon") geschuldet - aber sei’s drum. Faktum ist, dass der Achtelfinal-Einzug der ÖFB-Elf historisch ist und bleibt.

Doch was verbirgt sich hinter diesen oft zitierten und letztlich doch nichtssagenden Zahlen - "zum ersten Mal überhaupt", "zum ersten Mal seit 39/67 Jahren"? Die am Montag frei gewordenen Emotionen in Fußball-Österreich resultieren nämlich nicht aus diesem nüchternen Zahlenwerk, sondern aus dem ganz konkret erlebten und als schier unendlich empfundenen Leidensweg. Es sind ja nicht nur Jahre, die erfolglos vorbeigerauscht sind, sondern auch Tore, die nicht geschossen respektive unnötig bekommen wurden, Blamagen, die erlitten wurden und international für Aufsehen gesorgt haben - und Endrunden-Turniere, die in der bitteren Enttäuschung geendet haben. Alles sonder Zahl seit 1982. Als Fan der österreichischen Nationalmannschaft ist man notorisch leidgeprüft - was vielleicht auch die mangelnde Euphorie vor der Euro 2020 erklärte: Bitte nicht schon wieder enttäuscht werden, daher gleich nichts mehr erwarten!

Erinnern wir uns nur an die WM-Teilnahme 1990 - vom Geheimfavoriten zur Kabarett-Lachnummer (auch dank Toni Pfeffers Rückpass). Oder 1998 - als Last-Minute-Glücksritter, wieder hoch gehandelt und tief gefallen. Dann die EM 2008, als eine limitierte Elf den Heimvorteil nicht nutzen, immerhin aber aufrecht ausscheiden konnte. Nicht so 2016, als wieder Titelträume herumschwirrten, die dem Team von Marcel Koller die Grundtugenden des Spiels abhanden kommen ließen. Natürlich darf und soll man träumen - immerhin erlebten die rot-weiß-roten Kicker und ihre Fans in diesen 39 Jahren allerhand Sensationen, die sie auch hätten erleben können. Die EM-Titel von Dänemark (1992) und Griechenland (2004), den Finaleinzug der Tschechen (1996), die Sensationsläufe der Kameruner (1990), Türken (2002), Kroaten (1998/2018) und Waliser (2016). Während sich andere weltweit in die Schlagezeilen dribbelten, gab es für "uns" immer nur Hohn und Spott: nach Färöer (1990), nach Valencia (0:9 gegen Spanien/1999).

Und was immer ganz besonders bitter war: Dass man den Österreichern den Rumpelfußball auf großer Bühne ankreidete, dass das Turnier-Aus verdient gewesen sei, man mutlos und uninspiriert agiert habe. So hieß es stets. Und auch zu Recht. Das ist seit Montag vorbei: Der Achtelfinal-Einzug ist jetzt keine Sensation, er war Anspruch. Die Art und Weise, wie er erfolgte, war aber für österreichische Verhältnisse historisch und sorgte daher international für Anerkennung. Auch das zu Recht.