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Klimapolitik? Kein Grund zum Feiern

Von Matthias Winterer

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Stadträte Ulli Sima (Stadtplanung) und Jürgen Czernohorszky (Klima) posieren vor Sprühnebellanzen und Trinkbrunnen.
© Wiener Wasser / Johannes Zinner

Sprühnebel bringen nichts gegen die Hitze der Stadt. Sie lenken ab. Was es bräuchte, ist mutige Politik. Ein Kommentar.


Es ist die hohe Kunst der Politik, Niederlagen in Siege zu verwandeln. Die Wiener SPÖ versteht die Kunst der Politik. Anfang Juni posiert die rote Stadträtin Ulli Sima (Stadtplanung) gemeinsam mit ihrem roten Kollegen Jürgen Czernohorszky (Klima) vor Sprühnebellanzen und Trinkbrunnen. Sie tragen Sonnenbrillen und strahlen. Stolz präsentieren sie die "Cooling-Maßnahmen" der Stadtregierung. Ihr neuerster Clou: 166 Nebelduschen - sie tragen den kampagnentauglichen Namen "Sommerspritzer" - sollen Hitzeinseln kühlen. Die drei Meter hohen Edelstahlkonstruktionen, die an Hydranten angebracht werden, zerstäuben Wasser über 34 Düsen. "Wir müssen alles tun, um die Klimakrise aufzuhalten", sagt Czernohorszky. "Mit den vielen Cooling-Maßnahmen bieten wir Abkühlung für Jung und Alt zum Nulltarif - denn in unserer Stadt soll sich jeder wohlfühlen", sagt Sima.

Viele Bewohner fühlen sich in der aufgeheizten Stadt schon lange nicht mehr wohl. Sie ziehen sich in ihre Wohnungen zurück, lassen die Rollos herunter, schalten die Klimaanlage ein. Die Geräte gehen weg wie die warmen Semmeln. Laut Wien Energie wird in Wien derzeit so viel Strom verbraucht wie noch in keinem Sommer. Kein Wunder, in der Stadt ist es bei Temperaturen über 30 Grad kaum noch erträglich. Sprühlanzen hin oder her. Sie sind kein Grund zum Feiern. Ihre Notwendigkeit ist eine Katastrophe. Dass der öffentliche Raum ohne künstliche Kühlung nicht mehr nutzbar ist, ein Desaster. Sprühlanzen sind eine in Edelstahl manifestierte Warnung: Es ist zu heiß.

Daran ändern die Hitze-Maßnahmen der Stadt nichts. Sie behandeln ein Symptom, nicht die Ursache. In den 1920er-Jahren bekämpfte die Sozialdemokratie den Wohnungsnotstand, indem sie die Reichen besteuerte und mit dem Geld tausende Gemeindewohnungen baute. In den 2020er-Jahren bekämpft die Sozialdemokratie den Klimanotstand, indem sie Sprühduschen aufstellt. Sicher, die Wiener Stadtregierung wird die globale Klimakrise nicht lösen. Mutigere Politik ist trotzdem gefragt, wenn die Stadt lebenswert bleiben will.

Das Auto raus bitte

Mutig wäre etwa, die Autos aus der Stadt zu verbannen. Feige ist hingegen, Elektroautos zu propagieren. Ein vermeintlich sauberer Antrieb wird das Problem nicht lösen. Natürlich stoßen auch Elektroautos Kohlendioxid aus. In ihrer Herstellung etwa - und in der Herstellung ihres Kraftstoffs, schließlich wächst auch Strom nicht auf Bäumen. Es braucht radikalere Schritte, als auf ein Verkaufmodell der Autoindustrie aufzuspringen. Wir müssen unser Mobilitätsverhalten ändern. Die Politik sollte den Anstoß geben. Doch die umhegt den Autofahrer. Nur keine Angst, sie können weiter fahren, sie müssen nur das Auto wechseln. "Elektromobilität ist ein wichtiger Beitrag zur Mobilitätswende und Erhaltung der Lebensqualität", sagte Sima in der Vorwoche.

Mutig wäre auch, im innerstädtischen Raum massiv aufzuforsten. Bäume spenden Schatten, binden Kohlendioxid, kühlen. Bäume übertreffen die Leistung von Klimaanlagen um ein Vielfaches. Je nach Baumgröße kann sie bis zu 30 Kilowatt betragen, während eine herkömmliche Raumklimaanlage gerade einmal drei Kilowatt schafft - wie die Universität Wageningen in den Niederlanden berechnete.

Zumindest hier kann der Stadtregierung ein wenig Tapferkeit bescheinigt werden. Bis 2025 will sie 25.000 neue Bäume pflanzen. Gemessen an der Gesamtzahl von derzeit 485.000 Bäumen in den Straßen und Parks der Stadt, eine Bagatelle. Gemessen am Widerstand der Bevölkerung und der Bezirke gegen die Auflösung eines einzigen Parkplatzes für eine Baumpflanzung, ein Kraftakt.

Am Dienstag erreicht der Höhepunk der bereits zweiten Hitzewelle die Stadt. Die Meteorologen melden Temperaturen von bis zu 36 Grad. Macht nichts, man kann sich ja unter Sprühregen stellen.