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Turniere setzen keine Trends mehr

Von Alexander Belinger

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Der Autor ist Fußballtrainer und Spielanalyst.

Die offensiven Flügelverteidiger prägten bisher das Turnier.


"Könntest du vielleicht auch etwas über taktische Trends, die sich abzeichnen, machen?", war die Frage, die zu dieser Ausgabe meiner Kolumne führte, und die bei jedem großen Turnier gestellt wird. Tod oder Leben des Ballbesitzfußballs wird dann gerne ausgerufen. Doch vorab sollte diskutiert werden, welche Relevanz Welt- und Europameisterschaften in der Entwicklung des Fußballs haben. Prägen sie wirklich taktische Trends? Ich meine: nein.

Denn führend in der Weiterentwicklung des Fußballs sind die Klubmannschaften, welche täglich mit den Spielern und demnach viel mehr im Detail arbeiten können. Zudem erlaubt die Möglichkeit der Transfers, besser funktionierende Systeme aufzubauen. Die Duelle in der Champions League sind die wahre Leistungsschau des globalisierten Fußballs, nicht mehr wie früher die großen Turniere der Nationalteams. So ist der größte aktuelle Trend im Fußball jener der steigenden Qualität. Durch einen erleichterten Zugang zu Informationen hat sich das Trainerwesen in den vergangenen Jahren rasant weiterentwickelt. Gemeinsam mit den neuen Analysemöglichkeiten und weiteren Ressourcen führt dies sowohl zu einer besseren Entwicklung der Spieler an sich, als auch zu besserer Interaktion zwischen den Spielern. Das Niveau ist in den vergangenen Jahren überaus stark gestiegen. Ob der Schwerpunkt dann auf dem Ballbesitzspiel oder dem Pressing liegt, ist nicht entscheidend.

Um im aktuellen Fußball erfolgreich zu sein, braucht es ohnehin einen funktionierenden Plan sowohl bei eigenem als auch bei gegnerischem Ballbesitz. Auch wenn die Welt- und Europameisterschaften keine neuen Trends setzen, so können dennoch aktuelle Entwicklungen an ihnen abgeleitet werden. Blickt man auf die 24 teilnehmenden Teams, so ist ein ins Auge stechender Trend jener der Vielfalt. Es gibt nicht mehr lediglich ein oder zwei Erfolgsrezepte, an die sich alle Länder halten. Stattdessen gibt es fast alle möglichen Formationen zu sehen. Egal ob mit Viererkette oder mit Fünferkette. Die gestiegene Bedeutung der Fünferkette ist bei dieser EM dennoch sehr deutlich zu sehen. In den aktuellen Achtelfinale setzten acht von 16 Teams auf eine Fünferkette. Dazu kommen noch Österreich und Italien, welche in ihrem Duell gegeneinander beide auf eine Mischformation zwischen Vierer- und Fünferkette setzten. Die Formationen mit Fünferkette ermöglichen es, mit besonders viel Breite im Spiel anzugreifen, die Teams forcieren dadurch auch sehr häufig Spielverlagerungen. Die offensiven Flügelverteidiger in diesen Systemen sind eher No-Names als große Stars, doch sie prägten bisher das Turnier. Bei Deutschland stach Robin Gosens heraus, bei den Niederlanden sorgte Danzel Dumfries für Torgefahr, und bei Italien ist der Linksverteidiger Leonardo Spinazzola die große Überraschung: Er wurde schon zwei Mal zum "Man of the Match" gewählt. Die Mannschaften mit Fünferkette konnten ihre Achtelfinalspiele auch mehrheitlich gewinnen. Mit Dumfries und Gosens schieden allerdings zwei der positivsten Erscheinungen im Turnier aus. Gut möglich, dass in den Viertelfinale nun weitere offensive Flügelverteidiger ins Rampenlicht rücken.