Zum Hauptinhalt springen

Wir werden mit diesem VAR leben lernen müssen!

Von Christian Mayr

Kommentare

Der Videobeweis braucht dringend mehr Transparenz - für mehr Vertrauen.


WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Jubeln Sie noch oder zweifeln Sie schon? Nach einem gefallenen Tor nämlich. Beziehungsweise bei einem auch vom Schiedsrichter, seinen Assistenten und letztlich auch vom Videoschiedsrichter anerkannten Treffer. Tja, so kompliziert ist die Fußballwelt mittlerweile geworden. Ein Tor ist kein Tor, ist kein Tor. Oder wie es Marko Arnautovic ausdrückte: "Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun." Tatsächlich ist die neue Normalität in der globalen Ballsportart auch hierzulande so richtig angekommen, als Österreichs Edelkicker im Achtelfinale gegen Italien zum rot-weiß-roten Wembley-Tor traf. Respektive eben nicht traf. Und wer seither nach Toren nicht mehr ausgelassen jubelt, sondern den Bildschirm auf etwaige Schiri-Aktivitäten scannt, weil er nicht wieder vom brüllenden Löwe zum wimmernden Schoßhündchen auf der Couch mutieren will, der ist in guter Gesellschaft. "Video Killed the Radio Star", hieß es einst - nunmehr killt das Video die Emotionalität im Fußball. Und zwar ganz brutal - siehe Österreich.

Dieses schaumgebremste Zuwarten (wiewohl das in der aufgeheizten Stadion-Atmosphäre nicht passiert) gibt es ja nicht nur bei knappen Abseitsentscheidungen, sondern auch bei normalen Spielszenen (War da nicht vorher ein Foul dabei?) und sogar im Elfmeterschießen (Hatte der Goalie wirklich noch eine Zehe auf der Linie, als der Schütze den Ball bewegte?). Das ist freilich der Preis dessen, was uns vor Jahren bei Einführung des Video Assistant Referee (kurz: VAR) als "mehr Gerechtigkeit im Fußball" versprochen worden war. Einen Weg zurück gibt es nun nicht mehr - wir werden einfach mit dem VAR leben lernen müssen! Wir Österreicher genau so wie die im Halbfinale ausgeschiedenen Dänen und Spanier. Denn das große Wort von "mehr Gerechtigkeit" klingt dort gerade wie ein Hohn. Der entscheidende Elfmeter in der Verlängerung für England war - angesichts seiner Bedeutung - überhart, das meinen sogar britische Fußballkundige. Referee Danny Makkelie hätte sich wenigstens die Mühe machen müssen, die Szene per Video noch einmal zu studieren. Die Spanier wiederum wurden (ebenfalls in der Verlängerung) gegen Italien eines klaren Penaltys beraubt, der Fall des zu Boden gerissenen Iberers wurde aber nicht einmal einem näheren Studium unterzogen.

Besonders letztgenannter Fall ist exemplarisch für die berechtigte inhaltliche Kritik am Videobeweis: Ob eine Szene ein Fall für die Videoreferees wird, ist nach wie vor völlig intransparent. Es gibt quasi offizielle Checks und dann "silent checks" - bei letzteren weiß man halt nichts Genaues nicht. Warum greifen die "Götter in Schwarz", die pikanterweise fernab in Nyon sitzen, einmal ein und einmal nicht? Ist die Leitung gerade eingefroren, wurden sie durch eine Pizzalieferung gerade abgelenkt oder haben Internet-Hacker ihre Finger im Spiel? Dieser selektive Einsatz des VAR schreit dringend nach einer Transparenz-Reform, denn er macht das Spiel erst recht ungerecht und kann ein Team, das sich benachteiligt fühlt, zermürben. Keiner verlangt von Referees Unfehlbarkeit, was aber im Milliarden-Business Fußball möglich sein muss, ist, dass in einem frei zugänglichen Spielbericht Rechenschaft abgelegt wird, warum etwas kontrolliert respektive nicht kontrolliert wurde.

Sonst killt der VAR nicht nur die Emotionen, sondern auch das Vertrauen der Fans.