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Diese Euro war historisch - in mehrerlei Hinsicht

Von Christoph Rella

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Die EM wird als eines der politischsten Fußballturniere in die Geschichte eingehen.


Die XVI. Europameisterschaft ist zu Ende und wird als eine der erinnerungswürdigeren in die Fußballgeschichte des Kontinents eingehen. Und das nicht nur mit Blick auf das englische Team, das zwar das Finalspiel gegen Italien am Sonntag nach Elferschießen 2:3 verlor, aber immerhin seine beste EM in der Geschichte dieses Bewerbs gespielt hat. Noch nie hatten die Three Lions das Finale erreicht, und auch im Halbfinale war man in den vergangenen 61 Jahren nur zwei Mal, 1968 und 1996, vertreten gewesen. Coach Gareth Southgate kann also sehr zufrieden sein. Dass es dann vom Elferpunkt aus nicht für den Sieg gereicht hat, ist schmerzlich, aber nicht untypisch. Niemand weiß das besser als Southgate selbst, zumal er es gewesen war, der vor 25 Jahren den entscheidenden Elfmeter im EM-Halbfinale gegen Deutschland versemmelte.

Wenn also Historiker einst einmal auf dieses Turnier zurückblicken werden, so dann nicht aufgrund der Tatsache, dass England ein Elfmeterschießen verloren hat - das kam seit 1990 bei Europa- und Weltmeisterschaften nahezu regelmäßig vor. Und auch sonst dürften die sportlichen Resultate nicht mehr Interesse hervorrufen als die anderer EM-Turniere. Wenn es aber einen Aspekt gibt, weshalb die EM 2020 in Erinnerung bleiben wird, so ist dieser vor allem im Politischen zu suchen. Die Rahmenbedingungen, welche die Corona-Pandemie der Uefa, den Mannschaften und den Fans auferlegten, waren und sind ebenso einzigartig wie die bisher kaum gesehenen Debatten über gesellschaftspolitische Themen wie Rassismus und Homophobie.

Zwar waren schon früher große Fußballturniere von hübschen Appellen, die mehr Respekt und Toleranz Minderheiten gegenüber forderten, begleitet gewesen, nur wurde man bisher das Gefühl nicht los, dass es sich dabei um eine lästige Übung handelte. Das war bei der Euro 2021 anders. Das dem US-Football entliehene Niederknien vor dem Anpfiff, das gemeinhin als Geste des Protests gegen Rassismus verstanden wird, gehörte in den Stadien zuletzt ebenso zum guten Ton wie das Schwingen und Tragen der Regenbogenfahne für die Anliegen der LGBT-Bewegung. Ja selbst Großsponsor VW gestaltete seine Werbebanner über Nacht in bunte "Diversity"-Sujets um. Wer sich, so wie zum Beispiel die Uefa, weigerte, auf Zuruf linker Stadtpolitiker gleich ein ganzes Stadion in den Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, musste sich heftige Kritik anhören. (Bei den chinesischen Geldgebern, welche die Werbebanner der Stadien bei Großereignissen in Überzahl belegen, war man mit Blick auf die menschenrechtliche Lage in China interessanterweise weniger streng.)

Das bedeutet aber nicht, dass der Fußball diese Gesten nicht braucht. Denn dass Rassismus im 21. Jahrhundert nach wie vor ein Problem ist, hat nicht zuletzt wieder das Endspiel am Sonntag in Wembley gezeigt, als der (farbige) England-Spieler Bukayo Saka wegen seines verschossenen Elfmeters in den Sozialen Netzwerken rassistisch beleidigt wurde. Eines ist jedenfalls klar geworden: Fußball war und ist nie unpolitisch und jede Geste gegen Rassismus und Unterdrückung hilfreich. Ob diese Feststellung Schule machen und auch bei der kommenden WM in Katar gelten wird, ist freilich zu bezweifeln. Wenn doch, hätten die Historiker einiges zu analysieren.