WZ Christian Mayr - © Wiener Zeitung

WZ  Christian Mayr

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Normalerweise läuft es für Österreich bei Sommer- respektive Weltsportarten ja genau umgekehrt. Da gibt es passable Leistungen bei diversen Veranstaltungen, die rot-weiß-rote Athleten flugs zu seriösen Medaillenhoffnungen werden lassen - grosso modo folgt allerdings just dann, wenn es wirklich drauf ankommt, die bittere Enttäuschung. Knapp dran ist trotzdem vorbei und Blech eben kein Edelmetall. Der österreichische Salto nullo bei den olympischen Sommerspielen 2012 ist immer noch in vielen Köpfen präsent, inklusive des entbehrlichen, weil unsachlichen "Olympia-Touristen"-Sagers des damaligen Sportministers Norbert Darabos. Und die Sensationen, die überlassen die heimischen Sportler auf den großen Bühnen generös stets den anderen Nationen (wenn wir mal vom Triathlon-Gold-Coup durch Kate Allen 2004 in Athen absehen). Sogar bei Winter-Olympia schnappen "uns", die wir meist Favoriten sind, "Nasenbohrer" (Bill Johnson 1984) oder Snowboarderinnen (Esther Ledecka 2018) die reservierten Alpin-Goldenen weg.

Nun, seit diesem Sommer ist dann in dieser Erzählung doch etwas anders geworden. Zuerst läuft das ÖFB-Nationalteam bei der Fußball-EM zur Hochform auf und brilliert im Achtelfinale gegen den späteren Europameister mit spielerischen und kämpferischen Attributen. Und dann radelt - kaum, dass die Corona-Spiele in Tokio eröffnet sind - Anna Kiesenhofer im Rennen ihres Lebens zu olympischem Gold im Damen-Straßenrennen. Ganz ohne die rot-weiß-rote Brille ist dies eine der größten Olympia-Sensationen der Neuzeit. Was sogar die stets nüchterne Nachrichtenagentur Reuters zu einer Huldigung veranlasste: "Von Zeit zu Zeit erzählt Olympia eine Geschichte des Unerwarteten, ein Außenseiter, der sich entgegen allen Wahrscheinlichkeiten durchsetzt. Aber der Sieg von Anna Kiesenhofer im Straßenrennen der Frauen ist nur schwer zu überbieten." Über den Triumph der 30-jährigen Mathematikerin und Rad-Amateurin, die als Solokämpferin das gesamte niederländische Team düpieren konnte - eine im Radsport normal unmögliche Leistung -, ist längst alles gesagt und geschrieben worden. Und wäre Kiesenhofer Amerikanerin, würde gewiss schon Hollywood bei ihrem (nicht vorhandenen) Management vorstellig werden - denn dort ist ein unter solchen Umständen verwirklichter Olympia-Traum der Stoff, aus dem auch die Leinwand-Träume sind. Der Triumph der Weinviertlerin hat aber in einer global vernetzten Welt noch viel mehr Gewicht und geht weit über ein singuläres Resultat hinaus. Seit langem wieder kann sich der Radsport - technisch hochgezüchtet und Jahrzehnte lang von Doping durchseucht - über eine solch unbefleckte Heldensaga freuen. Zudem ist dieser Sieg das Beste, das diesen Spielen - bei denen der pandemische Hintergrund alles Sportliche zu überlagern drohte - passieren konnte.

Die Spiele durchdrücken (auf Veranstalter-Seite) und Dabei sein (auf Sportler-Seite) kann und darf einfach nicht alles und also das olympische Motto von Tokio 2020 sein. Der sportliche Wettkampf muss am Ende immer im Mittelpunkt stehen - und Sensationen, so rar sie längst geworden sind, sind das Salz in der Suppe. Und wenn sich dann das kleine Österreich "wider allen Wahrscheinlichkeiten" durchsetzt, ist es wohl am allerschönsten.