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Gute und böse Olympia-Aktivisten

Von Christian Mayr

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Zwei chinesische Siegerinnen feierten mit Mao-Sticker - was nun, IOC?


WZ  Christian Mayr
WZ  Christian Mayr
© Wiener Zeitung

Jetzt wissen wir also, warum das Internationale Olympische Komitee (IOC) respektive auch andere große Sportverbände politische Botschaften bei Wettkämpfen grundsätzlich verboten haben. Oder besser gesagt: nicht so gerne sehen. Denn wer im Zeichen der Menschenrechte und Gleichberechtigung das Knie beugt, eine Regenbogenfahne schwenkt beziehungsweise -schleife trägt oder wie US-Kugelstoßerin Raven Saunders die Hände über dem Kopf zu einem X verschränkt, um an alle Unterdrückten dieser Welt zu erinnern, dem passiert in der Regel nichts (mehr). Schon gar nicht bei den genannten Beispielen, die auch ganz den Zeitgeist der linken Meinungsmacher und Medienfront widerspiegelt. Eine Strafe für derlei hehre Anliegen würde dem IOC umgehend einen Shitstorm bescheren, wogegen das Münchner Regenbogen-Stadion-Theater bei der Fußball-EM ein laues Mai-Lüfterl war.

Aber, wie gesagt, jetzt wissen wir, warum man politische Gesten besser gar nicht zulässt, wie zuletzt allerorten zu sehen - denn wer A sagt, muss bekanntlich auch B sagen. Und also vielleicht nicht ganz so genehme politische Botschaften, so sie nicht radikal der olympischen Charta widersprechen, zulassen. Und damit wären wir endlich beim Anlassfall: Denn zwei chinesische Bahnrad-Olympiasiegerinnen trugen am Dienstag während der Siegerehrung tatsächlich einen Anstecker mit einem Bild von Mao Zedong, dem kommunistischen Revolutionär. Zur Erinnerung: Für die Mehrheit der Chinesen gilt der erste Staatspräsident der Volksrepublik nach wie vor als Kultfigur, dabei völlig außer Acht lassend, dass der Diktator nichts anderes als ein Massenmörder war, der laut westlicher Geschichtsforschung bis zu 76 Millionen Menschen auf dem Gewissen haben könnte. Nun, was gedenkt nun das IOC zu tun - ein halbes Jahr vor den Winterspielen in Peking? Die Sache wird einmal geprüft, eine Stellungnahme von Chinas Team eingefordert, hieß es.

Es wird jedenfalls ein spannender Präzedenzfall. Denn nachdem zuletzt die Büchse der Pandora für politische Botschaften geöffnet wurde - und wenn, dann wohl für alle! -, dürfen wir uns auf weitere Kundgebungen insbesondere von Sportlern aus autokratisch regierten Nationen freuen. Die Sportwelt ist nun eh sehr häufig "zu Gast bei Freunden": Nach Olympia in China wartet 2022 die Fußball-WM in Katar, danach steigt 2023 das Champions-League-Finale in Istanbul. Nicht nur, dass wir dort mit politischen Gesten (wie dem Herrscher zu salutieren) konfrontiert werden könnten, auch werden die Veranstalter wohl nicht mehr ganz so freizügig mit Aktivisten aus der freien, demokratischen Welt umgehen - vor allem, wenn diese gegen lokale Regimes gerichtet sind. Gesetz der Fall, die Sportler sind dann noch genauso mutig wie jetzt - und die Sportverbände geben nicht flugs vor China-Olympia und Katar-WM einen neuen Verhaltenskodex aus.

So gesehen wäre der Fall der Chinesinnen sogar eine Chance - nämlich zum ursprünglichen, strengen Regelwerk zurückzukehren und politischen Aktivismus an den Wettkampfstätten zu verbieten (überall anders freilich zuzulassen). Denn Sportfunktionäre sind nun wirklich nicht dazu berufen, die Frage von Gut und Böse - womit sich die Philosophie seit Jahrtausenden auseinandersetzt - zu entscheiden. Und um nichts anderes geht es - um gute und böse Aktivisten.