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Wir sitzen nicht im selben Boot

Von Walter Hämmerle

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© Peter Lechner

Dankesrede von "Wiener Zeitung"-Chefredakteur Walter Hämmerle anlässlich der Verleihung des Kurt-Vorhofer-Preises durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen.


Ich werde mich hüten, dem "So sind wir nicht"-Satz des Bundespräsidenten hier zu widersprechen. Allein schon, weil ich beim besten Willen nicht weiß, wie wir wirklich sind. Was ich jedoch weiß, ist, dass Zustände aufrechterhalten werden, obwohl sich niemand, oder jedenfalls niemand offen, für sie ausspricht, aber alle, die sich zu Wort melden, dagegen protestieren. Das groteske Missverhältnis zwischen einer lächerlichen Medienförderung und einem wahnwitzigen öffentlichen Inseratenvolumen ist so ein Beispiel. Es gibt noch einige weitere. Nur der Selbstentblößung der türkisen ÖVP, wie sie in den Chats zutage tritt, verdanken wir, dass diese Unerträglichkeit wieder ein großes Thema ist. Allerdings hat das Reden allein noch selten etwas verändert. Es sind Taten, die zeigen, wie wir sind. Also warten wir mit einem abschließenden Urteil besser noch ein wenig ab.

Vor zehn Tagen ist in Österreich schon wieder eine Sonne vom Himmel herabgestürzt. Und wieder stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte und welche Rolle welche Medien dabei gespielt haben. Doch mit solchen Differenzierungen will sich nicht jeder aufhalten: Es ist angesagt, die etablierten Medien als Handlanger der Mächtigen zu diskreditieren. Auf Twitter, Facebook & Co ist das Urteil über den Journalismus längst gesprochen, und nicht zu seinen Gunsten. "Lügenpresse" ist kein Schlagwort rechter Verschwörungstheoretiker allein.

Mit Verlaub: Das ist Unsinn, ein gefährlicher noch dazu. Es gibt Journalismus zum Genieren - wieder und immer noch. Trotzdem ist, insgesamt betrachtet, die Qualität heute besser als noch vor fünf Jahren und war damals besser als noch vor zehn, von den angeblich "guten alten Zeiten" wollen wir lieber ganz schweigen. Massiv gestiegen ist die finanzielle Macht der öffentlichen Hand über die Medien. Um es marxistisch zu formulieren: In der prekären ökonomischen Produktionsbasis für Qualitätsjournalismus liegt dessen größte Gefahr.

Stefan Zweig hat unter anderen Umständen Folgendes formuliert: "Nur wer sorglos in die Zukunft blicken konnte, genoß mit gutem Gefühl die Gegenwart." Kaum ein Medium kann heute sorglos in die Zukunft blicken. Und die Politik kalkuliert, von diesen Sorgen über Umwege zu profitieren. Medien sind stets ein Objekt der Begierde, und Österreich ist ein kleines Land. Schon allein deshalb kann nicht oft und hart genug über die Qualität des Journalismus gestritten werden. Immerhin: Dass sich mutmaßlich nur ein Medienhaus für schmutzige Deals hergegeben hat, zeigt bis zum Beweis des Gegenteils, dass die große Mehrheit weiß, wo die roten Linien verlaufen.

Haltung und Zweifel

Vom Geld ist es ein großer Sprung zur Haltung. Es ist lächerlich, Menschen, auch Journalisten, eine Haltung absprechen zu wollen; erstens verfügt hoffentlich jeder über eine, und zweitens hat sich die Idee eines völlig unparteiischen Journalismus längst als Fiktion herausgestellt. Bei der erbitterten Diskussion darum, wie viel Haltung dem Journalismus guttut, geht es eher um die Rolle, die dem Zweifel zukommt: Zweifel gegenüber den eigenen Überzeugungen wie gegenüber denen anderer.

Skeptiker zu sein, ist heute, wo sich immer mehr Menschen nach klaren Fronten sehnen, zunehmend unsexy, vor allem bei Jüngeren und all den Älteren, die noch einmal jung sein wollen. Allein schon die Möglichkeit, dass die Gegenseite vielleicht doch recht haben könnte, ist hier für viele eine Zumutung. Die wenigsten Überzeugungstäter vertragen Widerrede.

Die Digitalisierung befeuert diese Entwicklung, weil sie neben einer inhaltlichen Homogenisierung auch die Emotionalisierung der Debatten antreibt. Wie so etwas im Endausbau ausschaut, zeigt sich in den USA, wo jedes politische Lager über sein eigenes mediales Paralleluniversum verfügt. Österreich ist vom "amerikanischen Weg" glücklicherweise weit entfernt, obwohl etliche Medien-Neugründungen auf diesen Trend setzen. Ich gestehe, dass mir ein anderes Ideal von "Zeitung" vorschwebt, eines, das bewusst die kontroversen Standpunkte zusammenbringt und nüchtern ihre Vor- und Nachteile analysiert.

Unersetzliche Redaktionen

Teamarbeit ist dabei der Schlüssel. Dass ich heute hier stehe und mit dem Kurt-Vorhofer-Preis ausgezeichnet werde, ist eine Ehre, die zugleich auch der Redaktion der "Wiener Zeitung" gebührt. Wir reden ständig über einzelne Köpfe, dabei sind es die Redaktionen, die tatsächlich unersetzlich sind, wenn es um Qualitätsjournalismus geht. Nicht als eintönige Truppe Gleichgesinnter, sondern als bunt zusammengewürfelter Haufen von neugierigen, besserwisserischen, aber unbedingt team- wie streitfähigen Individualisten, die wissen, dass sie gemeinsam besseren Journalismus machen können.

Diese Idee von Redaktion ist gefährdet. Vor allem durch die unablässige Serie an Sparpaketen, aber auch durch die Illusion, all die digitalen Blogs von Einzelkämpfern, so hervorragenden Journalismus etliche von Ihnen bieten, könnten einen adäquaten Ersatz bereitstellen. Und dann geistert da noch die Vorstellung durch einige Verlage, kommerzielle Content-Production sei doch eigentlich auch nur eine Form von Journalismus, nur etwas anders eben. Ein größeres Missverständnis ist kaum vorstellbar.

Meine Damen und Herren, die fortgesetzte Selbstentblößung der ÖVP ist kein isoliertes Phänomen. Die Folgen werden weder auf diese Partei noch auf die Politik beschränkt bleiben. Niemand will allein untergehen. Schon ist der Satz "die Medien sitzen im selben Boot" zu hören. Dem kann nicht laut genug widersprochen werden: Wir sitzen nicht mit der Politik im selben Boot. Allerdings sind Medien wie Politik auf den gleichen Stoff zum Überleben angewiesen: auf das Grundvertrauen der Menschen, dass wir unsere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen machen. Ist das zerstört, dann ist unsere wichtigste Geschäftsgrundlage perdu. Wehe uns allen, wenn das geschieht.

Zu wenig Qualitätsjournalismus

Zeit, zum Schluss zu kommen. Zuvor aber noch einige Worte zur "Wiener Zeitung": Ich halte, in aller Bescheidenheit, die Redaktion der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt für eine der besten in diesem Land. Trotzdem ist ihre Zukunft ungewiss. Die Republik als Eigentümer weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Eigentum anfangen soll. Die Gefahr einer Einstellung oder jedenfalls eines Umbaus bis zur Unkenntlichkeit ist real. Das wird es mit mir nicht geben. Gemeinsam mit der Redaktion arbeiten und werben wir für eine bessere Lösung, in deren Zentrum der Journalismus steht - alles andere wäre für ein Haus, das den Namen "Wiener Zeitung" trägt, auch widersinnig.

In diesem Land gibt es von vielem genug und von einigem sogar zu viel - Qualitätsjournalismus, wie ihn die "Wiener Zeitung" betreibt, gehört nicht dazu. Die Pläne für den Abbau der Redaktion sind auch keiner unbedingten Notwendigkeit geschuldet. Es gibt Alternativen, eine hat die Redaktion gemeinsam mit dem Cognion Forschungsverbund präsentiert. Helfen Sie mit, wo immer Sie können, damit der Journalismus der "Wiener Zeitung", der heute von Ihnen ausgezeichnet wird, Zukunft hat.

Nochmals Danke an die Jury, die Stifter des Preises und an Sie fürs Zuhören.