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Neujahrskonzert: Ein Plädoyer für Zank und Hader

Von Christoph Irrgeher

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"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Daniel Barenboim hat das Neujahrskonzert mit schönen Worten beendet: Die Menschheit solle sich nicht durch Corona spalten lassen, sondern sich ein Beispiel an der Arbeit eines Orchesters nehmen: einer Gruppe, die einmütig etwas Anmutiges zustande bringt.

Barenboim hat leider nicht ganz recht. Die Spaltung droht nicht erst durch das Virus, sie wird seit Jahren von Eiferern in "sozialen" Netzen befeuert. Menschen, die nicht auf Eintracht, sondern auf moralische Empörung sinnen, vor allem gegen ein Manko an Diversität und gegen die Dominanz des "alten weißen Manns".

Nun ist gegen Diversität nichts einzuwenden. Wenn sie zum alleinigen Kriterium einer Debatte wird, die sich primär um Kompetenz drehen müsste, aber schon. Und genau diese Grobschlächtigkeit war auf Twitter die Reaktion nach Barenboims Neujahrsauftritt. Dass er eine Klassik-Koryphäe ist, interessiert dort nicht. Dass sich die Wiener Philharmoniker wie kein anderes Ensemble auf den Wiener Walzer verstehen, ebenso wenig. Es stört, dass vor allem weiße Männer spielen. Stimmt: Die Philharmoniker haben ihre Reihen spät, 1997, für Frauen geöffnet. Doch eine Express-Durchmischung durchzupeitschen und dafür die Hälfte der Musiker zu feuern, wäre Wahnsinn. Nochmals: Diversität ist ein hohes Gut. Und nichts gegen den Twitter-Vorschlag, Walzer aus weiblicher Hand ins Programm zu heben und eines Tages eine Dirigentin für den Termin zu engagieren. Nur: So, wie derlei Debatten laufen, bereiten sie einem Sexismus und Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen den Weg.